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20.12.2023

#DIGITALITÄT, Gespräch, Kultur und Politik, Kulturpolitik, Magazin SOZIOkultur

Tabea Rößner im Gespräch: Weichenstellung für den digitalen Wandel

Die Vorsitzende des Ausschusses für Digitales im Deutschen Bundestag im Interview zu ihrem Blick auf die Soziokultur

Von: Ellen Ahbe

Der Ausschuss für Digitales im Deutschen Bundestag widmet sich seit 2013 aktuellen netzpolitischen Themen einschließlich des Ausbaus der digitalen Infrastruktur. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist Vorsitzende des 34-köpfigen Gremiums, in dem die verschiedenen Aspekte der Digitalisierung und Vernetzung fachübergreifend diskutiert werden. Ellen Ahbe befragte sie aus der Sicht der Soziokultur.

EA: Das Themenspektrum der Agenda für den Ausschuss ist breit gefächert. Hat die Betrachtung der Entwicklungspotenziale von kleinen und mittleren Kultureinrichtungen mit Gemeinnützigkeit hinsichtlich ihrer Digitalität da noch Platz?

TR: Wir haben ein großes Spektrum an Themen im Ausschuss abzuarbeiten, die vor allem aktuelle nationale oder europäische Gesetzgebungsprozesse betreffen. Darüber hinaus widmen wir uns in Selbstbefassung auch immer wieder weiteren wichtigen digitalpolitischen Themen. Dazu gehören auch Aspekte der Kultur- und Kreativbranche. Wobei hier auch der Kultur- und Medienausschuss federführend tätig wird. Ich selbst habe außerhalb der Ausschussarbeit kürzlich in der Fraktion ein Fachgespräch zum digitalen Ehrenamt organisiert (dazu auch weiter unten). Freiwilligenarbeit steckt voller Aufgaben, Prozesse und Strukturen, die mittels digitaler Anwendungen optimiert, erleichtert oder automatisiert werden können. Für die Digitalisierung des Ehrenamts braucht es strukturelle Veränderungen in den Organisationen. Erst kürzlich haben wir das Vereinsrecht flexibilisiert, indem zukünftig ein einfacher Beschluss reicht, um digitale Mitgliederversammlungen zu ermöglichen. Ich bin sicher, dass wir diese Themen auch im Ausschuss weiter diskutieren können.

EA: Der Wunsch der Zivilgesellschaft wird immer stärker, sich am Diskurs zum Thema Digitalisierung zu beteiligen. Wirkt der Ausschuss daran mit, indem zunehmend auch Vertreter*innen der Zivilgesellschaft als Expert*innen angehört werden?

TR: Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind hoch und die Umbrüche, vor allem als Folge der Digitalisierung, in jedem gesellschaftlichen Bereich spürbar. Eine starke Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in die Planung und Umsetzung von Maßnahmen und eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft zum Beispiel an Gesetzgebungsprozessen ist essenziell. Auch im Digitalausschuss haben wir daher zu den passenden Themen regelmäßig Vertreter*innen der Zivilgesellschaft zu Gast.

EA: Es gab durch das Förderprogramm NEUSTART KULTUR einen merklichen Digitalisierungsschub in Kultureinrichtungen. Das Gebot der Stunde ist nun Qualifizierung, sowohl für das Team als auch für die Nutzer*innen von digitalen Angeboten. Welche Pläne hat hierfür der Bund?

TR: Die digitale Teilhabe muss dringend angegangen werden, damit der Zugang zur digitalen Welt jedem zur Verfügung steht. Die Vermittlung digitaler Kompetenzen für jede Altersgruppe steht dabei ganz oben auf der Agenda. Deshalb setzen wir uns entsprechend unseren Zielen im Koalitionsvertrag bei den Ländern dafür ein, dass Digitalkompetenzen („digital literacy“) gestärkt werden. 2022 wurde die Digitalstrategie der Bundesregierung vorgestellt. Darin sind erste Ansätze hinsichtlich sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilhabe durch Digitalisierung enthalten.

In der Digitalstrategie der Bundesregierung sind erste Ansätze hinsichtlich sozialer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Teilhabe durch Digitalisierung enthalten.

Unter dem Dach des „Digitalpakt Alter“ vernetzen wir bundesweit erfolgreiche Projekte und Initiativen zur digitalen Kompetenzvermittlung gegenüber älteren Menschen. So schaffen wir ein breites gesellschaftliches Bündnis zur Stärkung der digitalen Teilhabe. Zudem werden wir den Digitalpakt für Schulen nachhaltig gestalten. Dazu werden wir mit den Ländern die bisher erreichten Ergebnisse bilanzieren und die weiteren Bedarfe erheben, um in dieser Legislatur einen Digitalpakt 2.0 mit einer Laufzeit bis 2030 abzuschließen. Der neue Digitalpakt 2.0 wird dafür sorgen, dass Schulen einfach, flexibel und dauerhaft digitale Fähigkeiten vermitteln.

Grundsätzlich liegen Bildungsmaßnahmen im Kompetenzbereich der Länder. Mit der Digitalstrategie der Bundesregierung hat sich der Bund zur Aufgabe gemacht, die Arbeit der Länder zu unterstützen, damit die Kompetenzen harmonisiert werden. Für starke Bildung muss sich die Lehraus- und Weiterbildung verändern.
Zudem geht es um Geräte und leistungsfähiges Internet. Nahezu drei Prozent der Deutschen können sich keinen Internetanschluss leisten – das sind mehr als zwei Millionen Menschen. Auch beim flächendeckenden Ausbau digitaler Infrastrukturen gibt es immer noch weiße Flecken. Nicht jeder Haushalt ist mit leistungsfähigem Internet versorgt. Aber nur eine flächendeckende Versorgung ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe. Darum ist ein Schwerpunkt unserer Digitalpolitik, den Gigabit-Ausbau voranzubringen. Der Bund will vor allem da Fördergelder hinschicken, wo Leute schon lange auf einen Anschluss warten. Das Ziel ist schnelles und flächendeckendes Internet für alle Regionen, damit niemand angehängt ist.

EA: Das Zuwendungsrecht erschwert es, die Kosten für digitale Tools geltend zu machen, beispielsweise wenn eine Lizenz den Durchführungszeitraum überschreitet. Würden Sie sich unserer Empfehlung anschließen, eine Digitalisierungspauschale im Rahmen von Projektförderung anzuerkennen?

TR: Die Idee, das Gemeinnützigkeitsrecht um weitere Zwecke zu ergänzen, ist nicht neu. Der Finanzausschuss setzt sich mit dieser Frage bereits auseinander.

Für den Systemerhalt sind eine verlässliche Förderung und gute Rahmenbedingungen unbedingt erforderlich. Grundsätzlich muss die Engagementförderung dahingehend weiterentwickelt werden, dass wir wegkommen von einer Projektmentalität hin zu langfristigen und zuverlässigen Fördermodellen, die mehr Planungssicherheit und Qualitätsentwicklung gewährleisten können.

Wir müssen Prozesse vereinfachen und verschlanken, das heißt auch, bürokratische Hürden abbauen. Wir müssen mehr als „ermöglichender Staat“ auftreten. Ein als Büro- kratiemonster verhindernder Staat ist das falsche Signal.

EA: Sie sind mit der Soziokultur seit vielen Jahren vertraut und engagieren sich selbst in diesem Feld. Was möchten Sie den soziokulturellen Akteur*innen resultierend aus der Arbeit des Ausschusses sagen?

TR: Dranbleiben und nerven! Oft kommen am Ende die zum Zuge, die besonders hartnäckig sind. Manchmal hat man selbst da eine gesunde Scheu, aber letztlich geht es darum, der eigenen Sache Gehör zu verschaffen. Und dafür müssen die Akteur*innen wahrnehmbar sein.

EA: Wie lässt sich das erreichen?

Wie gesagt: Ehrenamtliche Arbeit kann mittels digitaler Anwendungen optimiert, erleichtert oder automatisiert werden. Der Weg dorthin ist für viele Vereine al- lerdings mit großen Herausforderungen behaftet. Deshalb haben wir als Grüne Bundestagsfraktion im November in einem Fachgespräch unter der Federführung von Sabine Grützmacher und mir eruiert, welche Hürden auf diesem Weg liegen und wie wir Ehrenamtliche bei der Digitalisierung politisch unterstützen müssen. In unserem Fachgespräch „Digitalisierung für Ehrenamt und Engagement“ ging es vor allem darum, welche politischen Rahmenbedingungen und welche Unterstützung es braucht, um die Digitalisierung im Ehrenamt voranzubringen.

Soziokulturelle Akteur*innen sollten dranbleiben und nerven! Oft kommen am Ende die zum Zuge, die besonders hartnäckig sind.

Wenn es um den digitalen Wandel in Organisationen geht, stehen allem voran natürlich Finanzierungsfragen. Aber zugleich – und das hat unser Fachgespräch eindrücklich herausgearbeitet – besteht unter Ehrenamtlichen ein großer Wunsch nach Austausch und Kooperation untereinander. Der Mangel an Digitalisierung im Ehrenamt ist vor allem ein Mangel an Qualifikationen und Vernetzung mit qualifizierten Menschen, die dezentral und regional verfügbar sind. Der Digitalisierungsgrad ehrenamtlicher Initiativen unterscheidet sich sehr stark, sodass weniger digitalisierte Vereine vom Erfahrungsschatz digitalisierter Organisationen profitieren können. So besteht der Bedarf an einer Vernetzungsstruktur, die Ehrenamtliche zusammenbringt, damit man voneinander lernen kann. Zudem fehlt es an einem strukturierten Angebot, um die Fülle an Unterstützung, die bereits existiert, sichtbar zu machen.

Wenn Digitalisierungsinitiativen angestoßen werden, gehen diese häufig auf Einzelne zurück. Doch wir dürfen uns nicht auf die Eigeninitiative der Ehrenamtlichen verlassen, wenn wir das System würdigen und erhalten wollen. Deshalb muss der Mut zur Veränderung mit guten Rahmenbedingungen flankiert werden. Deshalb brauchen wir außerdem Rahmenbedingungen, um den Zugang zu Technik, Infrastruktur und Wissen für Organisationen und jeden Einzel- nen zu verbessern und selbstverständlich zu machen.

Nicht zuletzt wurde vielfach angemerkt, dass in Organisationen oft Grundlagen fehlen. An dieser Stelle bezog man sich oft auf Fragen der Rechtssicherheit und Sorgfaltspflichten. Es sei schwierig, den Dschungel an Gesetzen zu sichten und zu verstehen, sodass hier (Übersetzungs-) Hilfe oder sogar gesetzliche Erleichterungen für Ehrenamtliche benötigt würden. Darüber hinaus sei die Entbürokratisierung im Gemeinnützigkeits- und Ehrenamtsbereich wichtig, um Ehrenamtliche von bürokratischen Hürden zu entlasten. Solche Fragen müssten gemeinsam mit dem Rechts- und Innenausschuss diskutiert werden.

 

Dieser Beitrag ist erschienen in der SOZIOkultur 4/2023 Digitalität

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