Für Kulturinstitutionen bedeutet Digitalisierung Chance und Herausforderung zugleich. Es mag so scheinen, als wären große kommerzielle oder staatliche Institutionen mit ihren vielfältigen Ressourcen eher in der Lage, den digital-analogen Optionsraum zu füllen, als kleinere soziokulturelle Zentren, die ehrenamtlich geführt werden. Diese Wahrnehmung ist aber oft falsch. Auch kleine Einrichtungen können auf vielfältige Art und Weise im digitalen Raum aktiv sein. Ich möchte dies am Beispiel des soziokulturellen Zentrums Haus am Westbahnhof in Landau in der Pfalz beschreiben. Dieses Kulturzentrum wird durch einen gemeinnützigen Verein getragen. Seine Gründung und der Bau des Hauses in den 1980er Jahren und ebenso der Betrieb waren und sind bis heute das Ergebnis der Arbeit eines ehrenamtlichen Teams.
Jetzt sind u. a. das Bezahlsystem, Anfragen zur Raumbuchung, Kalender und viele Kommunikationsaktivitäten digitalisiert
Für bestimmte Aufgaben wie die Verwaltung und die Buchhaltung sind im Laufe der Jahre hauptamtliche Stellen im geringen Rahmen geschaffen worden. Das Team des Hauses hatte mich angefragt, um mit mir als Berater neue digital-analoge Formate zu entwickeln. In unserem ersten Workshop analysierten wir den Ist-Zustand der Digitalisierung auf allen Ebenen und stellten fest, dass wir zuerst nachhaltige digital-analoge Rahmenbedingungen schaffen mussten, um dann ein digital-analoges Kulturzentrum entwickeln zu können. Nach dem Motto „Keep the train rollin‘“ haben wir das Tagesgeschäft des Kulturzentrums sowie die Strukturen und Prozesse der Geschäftsstelle und des Vereins analysiert und umfassend weiterentwickelt. Ausgangspunkt war das TFK-Modell, das digitale Prozesse in die drei Handlungsfelder Technologie (Hard- und Software), Funktion (Formate und Prozesse) und Kultur (Mindsets und Strukturen) unterteilt. Damit konnten das Bezahlsystem, der Umgang mit Künstler*innenanfragen und Anfragen zur Raumbuchung, der Kalender und viele Kommunikationsaktivitäten digitalisiert werden.
Mehr Zeit für eigentliche Kulturarbeit durch Digitalisierung von Prozessen
Das Hauptziel war eine Vereinfachung der Strukturen und Abläufe, um durch digitale Lösungen mehr Zeit für die eigentliche Kulturarbeit zu schaffen. Parallel dazu entwickelten wir ein Konzept für die inhaltliche Weiterentwicklung des Hauses hin zu einem digital-analogen Kulturort, das in den nächsten Jahren umgesetzt wird.
Eine Vereinfachung der Strukturen durch digitale Lösungen soll mehr Zeit für die eigentliche Kulturarbeit schaffen.
Der Startschuss dieses Transformationsprojektes fiel am 15. Dezember 2022, der Beratungsprozess dauerte mehrere Monate und bestand aus einer Kombination aus Workshops vor Ort und Online-Meetings. Alles musste parallel zum laufenden Betrieb des Kulturzentrums mit vielen Ehrenamtlichen stattfinden. Wichtig war, seine Geschichte und seine Mindsets zu integrieren, also nicht alles Alte abzuschaffen, keinen Konkurrenzkampf zwischen digitalen und analogen Kulturmodellen zu befeuern, sondern die – logische – Weiterentwicklung des Haus am Westbahnhof zu unterstützen.
Der Entwicklungsprozess ist fast ein Jahr später noch nicht abgeschlossen. In den vergangenen Monaten hat das Team ein Fundament geschaffen, auf dem nun weitere Entwicklungsschritte möglich sind.
Im Transformationsblog und dazugehörendem Podcast beschreiben die Teammitglieder, wie sie den Prozess erlebt haben und was er für das Kulturzentrum bedeutet: https://hausamwestbahnhof.de/%20ueber-uns/keep-the-train-rollin/
Dieser Beitrag ist erschienen in der SOZIOkultur 4/2023 Digitalität