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10.01.2024

#DIGITALITÄT, Arbeitshilfen, Magazin SOZIOkultur

Die Soziokultur und das Beihilferecht der EU

Von: Gerd Vogt

Das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union untersagt den Regierungen der Mitgliedstaaten, in das wirtschaftliche Geschehen einzugreifen. Einzelne Unternehmen oder Branchen sollen nicht durch finanzielle Hilfen der öffentlichen Hand („Beihilfen“) begünstigt werden. Für den Bereich der Kultur gibt es jedoch Ausnahmen vom Beihilfeverbot. Wie sieht die Rechtslage in Bezug auf die Soziokultur aus?

Was sind Beihilfen?

Nach Artikel 107 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art mit dem Binnenmarkt unvereinbar. Die Einhaltung des Beihilfeverbots wird von der EU-Kommission überwacht. Zum Staat werden in diesem Zusammenhang auch Kommunen und andere öffentliche Einrichtungen gezählt. Unter Beihilfe wird jeder wirtschaftliche Vorteil für Unternehmen ohne angemessene Gegenleistung verstanden. Als direkter wirtschaftlicher Vorteil sind für die Soziokultur die staatlichen oder kommunalen Zuwendungen im Sinne des Haushaltsrechts von besonderer Bedeutung. Weiterhin können Darlehen, Bürgschaften oder Steuernachlässe Beihilfen im Sinne der EU-Vorschriften sein. Schließlich kann es sich auch bei der Überlassung von Grundstücken, sei es durch Verkauf oder Vermietung, um eine Beihilfe handeln, wenn keine adäquate Gegenleistung vorliegt.

Unternehmen im Sinne des Beihilferechts

Auch der beihilferechtliche Unternehmensbegriff wird weit ausgelegt. Als Unternehmen wird jede organisatorisch selbständige Einheit angesehen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, unabhängig von ihrer Rechtsform. Für den Unternehmensbegriff kommt es nicht darauf an, ob ein Gewinn erzielt werden soll, der steuerrechtliche Status, zum Beispiel als gemeinnützige Einrichtung, ist nicht von Bedeutung. Die meisten öffentlich-rechtlich wie privatrechtlich organisierten Kultureinrichtungen, seien es Theater, Opernhäuser oder Museen und eben auch die Einrichtungen der Soziokultur, fallen demnach unter den beihilferechtlichen Unternehmensbegriff.

Handhabung der EU-Kommission

Eine beihilferechtliche Unterstützung muss selektiv sein, das heißt, dass nur bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt werden. Und letztlich muss sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Daran kann man bei den soziokulturellen Zentren durchaus zweifeln, welche gewöhnlich nur einen lokalen oder bestenfalls regionalen Wirkungskreis haben. Die EU-Kommission hat jedoch in der Vergangenheit in mehreren Fällen eine Beeinträchtigung des gemeinschaftsweiten Handels durch Beihilfen an Kultureinrichtungen bejaht. Kultureinrichtungen stünden mit vergleichbaren Einrichtungen in anderen Mitgliedstaaten im Wettbewerb, zum Beispiel um Künstler*innen oder Besucher*innen. Auch könne die Beihilfe dazu führen, dass es den Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten erschwert oder unmöglich gemacht werde, ihre Leistungen vor Ort anzubieten. Diese Argumentation kann nicht wirklich überzeugen, aber so ist die Handhabung der EU-Kommission.

Ausnahmen vom Beihilfeverbot für die Kultur

Artikel 107 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union zählt einige Beihilfen auf, die mit dem Binnenmarkt vereinbar sind oder die als vereinbar angesehen werden können. Dazu gehören Beihilfen zur Förderung der Kultur und zur Erhaltung des kulturellen Erbes. Die Entscheidung im Einzelfall obliegt grundsätzlich der EU-Kommission. Die Mitgliedstaaten müssen eine vorherige Genehmigung einholen. Solange die Genehmigung nicht vorliegt, darf die Beihilfe nicht gewährt werden. Zur Verfahrenserleichterung hat die EU-Kommission allerdings mehrere Arten von Beihilfen bestimmt, für die keine Genehmigung erforderlich ist. Es stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, wie Kultureinrichtungen vom Beihilfeverbot ausgenommen („freigestellt“) werden können.

AGVO

Die für die Soziokultur bedeutsamste Freistellungsmöglichkeit ist die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO). Beihilfen, die in der AGVO aufgezählt werden, müssen vor ihrer Gewährung nicht bei der EU-Kommission angemeldet und von dieser genehmigt werden, sondern können direkt bewilligt werden. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die nach der AGVO freigestellten Beihilfen der EU-Kommission anzuzeigen. Die Freistellung von Beihilfen für Kultur regelt Artikel 53 AGVO.

Freistellungen in der Kultur

In Artikel 53 AGVO wird aufgezählt, für welche kulturellen Einrichtungen und Aktivitäten Beihilfen gewährt werden können. Aufgelistet werden unter anderem Museen, Bibliotheken, Theater, Kinos und Opernhäuser. Weiterhin werden Kunst- und Kulturzentren sowie sonstige Einrichtungen für Live-Aufführungen aufgeführt. Als beihilfefähig werden Veranstaltungen und Aufführungen im Bereich Kunst und Kultur, Festivals und ähnliche kulturelle Aktivitäten benannt, ferner Tätigkeiten im Bereich der kulturellen und künstlerischen Bildung. Das breite Tätigkeitsspektrum der soziokulturellen Einrichtungen wird somit von Artikel 53 AGVO in vollem Umfang abgedeckt.

Obergrenzen für die Förderung

Zu beachten sind allerdings Höchstgrenzen, bis zu denen Beihilfen für den Kulturbereich ohne Anmeldung bei der EU-Kommission bewilligt werden können (sogenannte Schwellenwerte). Dabei unterscheidet die AGVO zwischen Investitionsbeihilfen und Betriebsbeihilfen. Der Schwellenwert für Investitionsbeihilfen ist mehrfach erhöht worden und beträgt derzeit 165 Millionen Euro pro Vorhaben, unter anderem für den Bau, Ausbau, Erwerb oder die Verbesserung der Infrastruktur, sofern diese zu mindestens 80 Prozent für kulturelle Zwecke genutzt wird. Betriebsbeihilfen von bis zu 85,5 Millionen Euro jährlich pro Unternehmen können unter anderem für Ausstellungen, Aufführungen und Veranstaltungen, für kulturelle oder künstlerische Bildungsangebote und Öffentlichkeitsarbeit, für Personalkosten und Beratungskosten gewährt werden.

Getrennte Buchführung

Kultureinrichtungen bieten häufig auch nicht-kulturelle Leistungen an, zum Beispiel Gastronomie oder die Vermietung von Räumlichkeiten. Nach den Bestimmungen der AGVO muss ausgeschlossen werden, dass nicht-kulturelle Aktivitäten mitgefördert werden. Das muss durch eine getrennte Buchführung für die einzelnen Angebote sichergestellt werden (sogenannte Trennungsrechnung). Dadurch soll eine Quersubventionierung des nicht-kulturellen Bereichs aus staatlichen Mitteln verhindert werden. Dabei ist es bei der Soziokultur doch so, dass die Erlöse aus Gastronomie und Vermietung den ideellen Bereich subventionieren! Einzelheiten zur Trennungsrechnung sind nicht vorgegeben. Bei den in aller Regel gemeinnützigen Einrichtungen der Soziokultur dürfte die vom deutschen Steuerrecht vorgeschriebene Unterscheidung zwischen ideellem Bereich, Zweckbetrieb und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb den beihilferechtlichen Anforderungen an eine Trennungsrechnung genügen.

DAWI-Regelungen

Beihilfen für Kultureinrichtungen können des Weiteren auch als „Dienstleistungen von allgemeinem wirt- schaftlichem Interesse“ (DAWI) mit dem Binnenmarkt vereinbar sein. Beihilfen beispielsweise an Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Rettungsdienste, Sportstätten und gegebenenfalls auch Kultureinrichtungen sind danach unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Die DAWI-Regelungen sollen einen finanziellen Ausgleich für im Allgemeininteresse liegende Aufgaben ermöglichen. Die übertragende staatliche oder kommunale Stelle muss die wahrzunehmende Gemeinwohlaufgabe genau bestimmen und das betreffende Unternehmen damit betrauen (Betrauungsakt). Die Betrauung kann nicht nur förmlich durch Vertrag oder Gremienbeschluss, sondern auch durch einen Zuwendungsbescheid erfolgen. Bei den Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist ebenfalls eine Trennungsrechnung erforderlich. Auch bestehen Aufzeichnungs- und Berichtspflichten der Beteiligten.

De-minimis-Regelungen

Schließlich kommt für Kultureinrichtungen auch eine Freistellung nach den De-minimis-Regelungen in Betracht. Diese Regelungen für Bagatellförderungen gelten für Beihilfen an Unternehmen aus allen Wirtschaftsbereichen. Pro Unternehmen sind Beihilfen bis zu 200 000 Euro in insgesamt drei Steuerjahren zulässig. Bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse beträgt die Höchstgrenze 500 000 Euro. Dieser Betrag kommt gegebenenfalls für die Soziokultur zum Tragen. Die Beteiligten müssen Aufzeichnungen über gewährte De-minimis-Förderungen führen und aufbewahren.

Rückabwicklung von unzulässigen Beihilfen

Unterstützungen, die gegen das Beihilfeverbot verstoßen, sind rechtswidrig. Auf Verschulden oder Kenntnis des Verstoßes kommt es nicht an. Um die mit der Beihilfegewährung verbundenen Vorteile wieder abzuschöpfen, muss die Beihilfegewährung rückabgewickelt werden. Bei Zuwendungen beispielsweise ist der Zuwendungsbescheid nach § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz zurückzunehmen und die Zuwendung nebst Zinsen zurückzufordern. Strengere europäische Vorschriften überlagern dabei teilweise die deutschen Bestimmungen, so dass es in diesen Fällen keinen Vertrauensschutz zugunsten der Empfänger gibt; die nationalen Behörden sind verpflichtet, zurückfordern.

Verantwortlichkeit der Geschäftsführung

Eine ordentliche Geschäftsführung hat sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs regelmäßig zu vergewissern, ob bei der Gewährung von Beihilfen das vorgesehene Verfahren beachtet wurde. Vernachlässigt die Geschäftsführung diese Pflichten, setzt sie sich ihrerseits dem Risiko von Schadenersatzansprüchen aus. Kleinere Kultureinrichtungen sind gut beraten, sich mit ihrer fördernden Kommune zu dem Beihilfethema auszutauschen. Viele Kommunen, welche gewöhnlich eine Reihe von öffentlichen wie gemeinnützigen Unternehmen unterstützen, verfügen über ein breit gefächertes Wissen über die Beihilfeproblematik. Insofern liegt es für die soziokulturellen Einrichtungen nahe, sich hier Unterstützung in diesen schwierigen Zusammenhängen zu holen.

_____________

Der Jurist Gerd Vogt arbeitete langjährig in der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums und im Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen. Als Dozent lehrte er unter anderem an der Hochschule für Musik und Tanz, Studiengang Kulturmanagement, in Köln. Er ist heute im gemeinnützigen Bereich als Berater für Fragen des Zuwendungsrechts tätig.

Der Text ist in ähnlicher Fassung in den Kulturpolitischen Mitteilungen (Ausgabe Oktober 2023) erschienen.

 

Dieser Beitrag ist erschienen in der SOZIOkultur 4/2023 Digitalität

Autor*innen

  Gerd Vogt Soziologe, arbeitete langjährig in der Haushaltsabteilung des Bundesfinanzministeriums und im Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalen.

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