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27.10.2023

Aktuelles, Kultur und Politik, Nachhaltigkeit, ÖMI

CO²-Kulturrechner zur Bilanzierung klimaschädlicher Emissionen in Kultureinrichtungen

So ist eine Nutzung des CO²-Tools der Bundesregierung sinnvoll

Von: Franziska Mohaupt

Am 11. Oktober 2023 hat die BKM den CO2-Kulturrechner veröffentlicht. Das Tool gibt eine einheitliche Erhebungsmethode für alle Kultureinrichtungen vor. In Zukunft sollen Kultureinrichtungen dieses Tool für ihre CO2-Bilanzierung nutzen. Doch was bringt das Bilanzieren und wie sollte das Tool genutzt werden?

Bilanzierung gehört bereits zu den bestehenden Mindeststandards verschiedener Kulturbereiche dazu. Zwar kann ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem auch ohne Klimabilanz gut sein, jedoch soll die Klimabilanz zum festen Bestandteil der Nachhaltigkeitsbemühungen im Kulturbereich werden. Die Klimabilanzierung wird daher auch für die Soziokultur an Bedeutung gewinnen. Der Bundesverband Soziokultur hat Ende 2023 ein Projekt begonnen, das unter Einbeziehung von soziokulturellen Zentren ökologische Mindeststandards für die Soziokultur entwickelt.

Warum bilanzieren?

Die Klimaforscher*innen haben festgestellt, dass die gesamte ⁠Treibhausgas⁠-Konzentration in der ⁠Atmosphäre⁠ bis zum Jahrhundertende bei rund 450 ⁠ppm⁠ Kohlendioxid-Äquivalenten stabilisiert werden müsste. Nur so können wir die angestrebte Zwei-Grad-Obergrenze der atmosphärischen Temperaturerhöhung mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 66 % unterschreiten. 2021 lag die Treibhausgas-Konzentration punktuell bei 508 ppm Kohlendioxid-Äquivalenten.

Es ist klar: Wir müssen unseren Ausstoß von klimaschädlichen Gasen massiv eindämmen. Hierfür brauchen wir Informationen darüber, wo wir am besten ansetzen können und wo die größten Hebel sind. Die Klimabilanz gibt Auskunft über den Status quo der Klimawirkungen einer Organisation und ist damit ein guter Startpunkt für die Planung von Klimaschutzaktivitäten.  (Quelle: UBA 2023: www.umweltbundesamt.de/daten/klima/atmosphaerische-treibhausgas-konzentrationen#obergrenze-fur-die-treibhausgas-konzentration)

 

cloud

 

Das Ziel einer Bilanz ist stets, alle Prozesse zu identifizieren, die in einer Organisation, bei einer Aktivität, bei einer Veranstaltung etc., Treibhausgase verursachen. Dabei werden alle relevanten Treibhausgase entsprechend ihrer Wirksamkeit und ihrer Verweildauer auf sogenannte CO2- Äquivalente umgerechnet, die CO2e. Die vier wichtigsten sind Kohlendioxid, Methan, Lachgas und die Gruppe der F-Gase, die vor allem für Kühlmittel genutzt werden. Gegenüber Kohlendioxid hat etwa Methan aufgrund seiner langen Verweildauer in der Atmosphäre eine 25-mal höhere Wirkung auf den Treibhauseffekt.

CO2e setzt sich als „Währung“ für die Umweltwirkung von Veranstaltungen oder Organisationen immer mehr durch. Denn immer mehr Organisationen kommunizieren über ihre Umweltperformance und nutzen dabei die Ergebnisse ihrer Klimabilanzen.

Wie ist der Standard aufgebaut?

Der Bilanzierungsstandard für Kultureinrichtungen erfüllt das sogenannte „Green House Gas (GHG) Protocol“. Das ist die bekannteste und international akzeptierte Norm für Bilanzierung. Das Protokoll unterteilt die Emissionen entsprechend ihres Entstehungsbereiches in drei Bereiche, auf Englisch „Scopes“ genannt.

 

scope

 

Die direkten und indirekten Emissionen (Scope 1 und 2) sind bei der Anwendung des Greenhouse Gas Protocol Pflicht, Scope 3 kann freiwillig erhoben werden. Ein Grund dafür ist, dass die vor- und nachgelagerten Aktivitäten häufig vielfältig, kleinteilig und schwer abzugrenzen sind. Mit Blick auf die Erfassung von Emissionen größerer Einheiten (z. B. Bundesländer oder Städte) sind Doppelerfassungen unvermeidbar, weil vor- und nachgelagerte Emissionen systemübergreifend sind. Die Erfassung bestimmter Scope 3-Aktivitäten aus Organisationsperspektive ist aber besonders wichtig, etwa die Emissionen, die durch die An- und Abreise des Publikums verursacht werden. Dies wurde bei der Entwicklung des Bilanzierungsstandards für die Kultur berücksichtigt.

Wie die meisten verfügbaren Tools basiert auch der Bilanzierungsstandard für die Kultur auf Excel. Nutzer*innen werden über mehrere Tabellenblätter durchgeleitet und können Daten in Eingabefelder eingeben. Das Tool hat Umrechnungsfaktoren für CO2e hinterlegt und rechnet die Äquivalente für jede Eingabe aus. Alle genutzten Umrechnungsfaktoren sind auf einem eigenen Tabellenblatt angegeben. So ist nachvollziehbar, wie die Werte entstehen. Außerdem ist eine umfangreiche Anleitung mitgeliefert.

Unterschiede in Kultureinrichtungen bedacht: Drei Bilanzierungsrahmen

Es gibt sehr unterschiedliche Kultureinrichtungen, die zudem unterschiedlich weit mit ihren Nachhaltigkeitsaktivitäten sind. Darauf geht das Bilanzierungstool ein, indem es drei miteinander kombinierbare Bilanzierungsrahmen anbietet.

Der erste Rahmen, „KlimaBilanzKultur“, deckt die Aktivitäten aus Scope 1 und 2 (Wärme, Strom, Kühl- und Kältemittel, Fuhrpark) sowie ausgewählte Themen aus Scope 3 (Geschäftsreisen, Pendeln der Mitarbeitenden, Reisen Externer, Warentransporte) ab. „KlimaBilanzKultur“ ist die Grundbilanz, die von allen durchgeführt werden soll. Der zweite Rahmen, „KlimaBilanzKultur+“, ergänzt die Grundbilanz um die Bereiche Anreise Besucher*innen, Einkauf von Medien, IT-Dienstleistungen und relevante Stoffströme. Der dritte Rahmen, „Beyond Carbon“, deckt Stoffströme ab, die zwar keine hohen CO2-Emissionen haben, jedoch eine relevante Umweltwirkung: Papier, Wasser, Abfall. Dieser Bereich ergibt vor allem dann Sinn, wenn das Tool integrativer Bestandteil des organisationsinternen Monitorings ist.

KlimaBilanzKultur Scope 1 und 2: Wärme, Strom, Kühl- und Kältemittel, Fuhrpark
Scope 3: Geschäftsreisen, Pendeln der Mitarbeitenden, Reisen Externer, Warentransporte
KlimaBilanzKultur+ Scope 3: Anreise Besucher*innen, den Einkauf von Medien, IT-Dienstleistungen und relevante Stoffströme
Beyond Carbon Scope 3: Papierverbrauch, Druck- und Werbematerialien, Verpackungen, Wasser

Komplexer Aufbau erfordert systematischen Ansatz

Das Tool ist so konzipiert, dass es sich für alle Kultureinrichtungen eignet. Dies bedingt eine gewisse Komplexität, die den Einstieg etwas mühsam macht. Das Tool arbeitet mit sogenannten Gliederungselementen. Das sind physische Einheiten wie etwa verschiedene Gebäude oder Standorte, die zu einer Kultureinrichtung gehören. Zur Identifikation der einzelnen Elemente ist es wichtig, die Systemgrenze seiner Organisation festzulegen. Entscheidend hierfür ist die Frage: Was möchte ich bilanzieren und wofür möchte ich die Ergebnisse nutzen?

Für eine Bilanz muss mindestens ein Element eingetragen werden. Ausgangspunkt zur Definition eines Elements kann der Strom- oder Wärmemengenzähler oder die Heizungsanlage sein. Besteht eine Kultureinrichtung beispielsweise aus zwei Gebäuden, die von einer zentralen Heizungsanlage mit Wärme versorgt werden und getrennte Stromzähler haben, kann man entweder zwei Elemente eintragen und die Wärmemengen auf beide verteilen oder ein Element eintragen und den Strom beider Stromzähler addieren. Sind es mehrere Elemente, müssen grundsätzlich Daten für jedes Element eingetragen werden. Entsprechend kann man die Ergebnisse für jedes Element nachher getrennt ausweisen.

Die sieben Schritte einer Bilanz

Das Folgende beschreibt die Durchführung entlang von sieben Arbeitsschritten und liefert Fragen, die bei der Bearbeitung hilfreich sind.

bilanz 2

1. Motivation zur Treibhausgasbilanzierung klären

  • Warum möchte ich eine Bilanz erstellen?
  • Wofür möchte ich die Ergebnisse nutzen?
  • Möchte ich die Ergebnisse veröffentlichen?

2. Organisatorische Systemgrenze festlegen

  • Wenn ich einen Kreis um meine Organisation zeichnen müsste, was liegt innerhalb des Kreises?
  • Gibt es mehrere Gebäudeeinheiten und sollen alle einzeln betrachtet werden?
  • Welche Aktivitäten meiner Organisation möchte ich in der Bilanz abbilden? Dies kann z.B. ein Festival, eine WS-Reihe oder ein Konzert sein.

3. Operative Systemgrenze festlegen

  • Welchen Bilanzierungsrahmen möchte ich nutzen?
  • Welche Emissionsquellen möchte ich zusätzlich zum Standardrahmen „KlimaBilanzKultur“ erfassen?

4. Daten sammeln
Nun beginnt die kleinteilige Arbeit der Datenerfassung:

  • Wo kann ich Informationen zu meinen Emissionsquellen finden? Welche Dokumente kann ich nutzen?
  • Welche Datenqualität habe ich? Folgende Differenzierung macht der Deutsche Museumsbund:
    • First-Best: Zählerstände am Jahresanfang/-ende, Rechnungen, Differenzermittlung aus Einkaufslisten und Beständen
    • Second-Best: Auswertung von Fahrtkostenerstattungen, Hochrechnung von Stichproben
    • Besser als nichts: Schätzwerte, Pauschalierungen
  • Wie dokumentiere ich die Datenerfassung?
  • Nach der Bilanz ist vor der Bilanz: Was kann ich vorausschauend notieren, damit ich beim nächsten Durchgang nicht von vorne beginne?

5. Emissionen berechnen durch das Tool.

  • Wie kann ich die Ergebnisse einordnen?
  • Wie plausibel erscheinen mir die Ergebnisse?
  • Welche Einzelauswertungen interessieren mich (einzelne Gebäude, einzelne Scopes)?
  • An wen kann ich mich wenden, wenn ich Fragen zur Ergebnisinterpretation habe?

6. Klimaziele ableiten

  • Wie ordne ich die Bilanz insgesamt ein?
  • Welche Bereiche oder Emissionsquellen treten besonders hervor?
  • Welche Ziele und Maßnahmen leite ich daraus ab?

7. Verbreitung der Ergebnisse

  • Wen möchte ich mit welchen Ergebnissen informieren?
  • Wo gibt es große Datenlücken und wir kann ich dies in der Darstellung der Ergebnisse berücksichtigen?
  • Wie bereite ich die Ergebnisse so auf, dass sie nachvollziehbar sind, und wo kommuniziere ich sie weshalb?

Empfehlungen des Bundesverband Soziokultur

Die Bilanz ist zunächst eine Zustandsbeschreibung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Erstellt eine soziokulturelle Einrichtung eine Bilanz in regelmäßigen Abständen, lässt sich eine Entwicklung beobachten. Der Nutzen ergibt sich aus dem, was mit den Informationen gemacht wird, die eine Bilanz liefert. Welche konkreten Schritte und Maßnahmen werden daraus abgeleitet und umgesetzt?

Eine Bilanz allein reduziert keine klimaschädlichen Emissionen

Je systematischer die Auswertung erfolgt, desto besser kann eine Bilanz ihre Wirkung entfalten. Sie ist aufwendig in ihrer Erstellung und sollte daher keine Eintagsfliege, sondern in das Nachhaltigkeitsmanagement einer Kultureinrichtung integriert sein. So können die Informationen aus der Bilanz dazu beitragen, dass emissionsreduzierende Maßnahmen identifiziert und priorisiert werden.

Beispiele aus der Praxis: So bilanzieren das Bündnis Freie Kultur in Oldenburg und das Modular Festival

Das „Bündnis Freie Kultur“ in Oldenburg etwa nutzt die Bilanzen einzelner Mitglieder dafür, Nachhaltigkeitsmaßnahmen zu definieren und zu priorisieren. Die Ergebnisse werden in einem Policy Paper mit konkreten Forderungen an die Stadtpolitik verknüpft. Das Modular Festival bilanziert schon länger seine Emissionen und veröffentlicht sie zusammen mit Maßnahmen, die umgesetzt wurden. Auf der Webseite des Festivals ist eingängig dargestellt, welche Auswertungen mit einer Bilanz gemacht und für die Kommunikation eingesetzt werden können.

Hat eine Einrichtung bereits ein Monitoringsystem, empfiehlt es sich unbedingt, beide Prozesse aneinander zu koppeln, denn häufig werden dieselben Informationen erfasst – z. B. Stromverbrauch und Wärmemengen. Umgekehrt gilt: Spätestens im Zusammenhang mit der Erstellung der ersten Klimabilanz sollte eine Einrichtung auch über Monitoring ihrer Energie- und Stoffströme nachdenken. Das Tool mit seinen drei Bilanzierungsrahmen gibt Einrichtungen Flexibilität zu schauen, was zu ihrem Status des Nachhaltigkeitsmanagements passt.

Bilanzierung abgeschlossen. Und dann?

Der Bundesverband Soziokultur begrüßt es, dass Kultureinrichtungen nun ein einheitliches Bilanzierungstool nutzen können. Jedoch ist es an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass der Handlungsrahmen soziokultureller Einrichtungen zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen gering ist. Insbesondere fehlen die Mittel für Investitionen in die Sanierung von Gebäuden und für Personal, damit es sich mit der Intensität dem Thema widmen kann, die eigentlich notwendig ist. In diesem Zusammenhang kann das Tool nur ein Anfang sein. Es braucht flächendeckend weitere finanzielle Förderung.

Vergleichbarkeit ja, aber mit dem Wissen, wozu!

„Mit dem CO2-Kulturstandard liegt nun eine einheitliche Grundlage für CO2-Rechner vor, die bundesweit vergleichbare Daten und Ergebnisse ermöglicht.“ Dieses Zitat aus der Pressemitteilung der BKM bedarf einer weiteren Einordnung. Denn es fehlt die Erläuterung, was und mit welchem Motiv miteinander verglichen wird.

Dass zwei Kultureinrichtungen ihre Bilanzen nebeneinanderlegen und vergleichen können, welche Bilanz die „bessere“ ist, ergibt wenig Sinn. Denn das ist selbst bei genau gleich gewählten Systemgrenzen nicht möglich, weil jede Einrichtung anders strukturiert ist, mehr oder weniger Veranstaltungen anbietet, die Gäste von nah oder fern kommen. Darum kann es also nicht gehen. Es kann auch die Befürchtung im Raum stehen, dass die Klimawirkung einer Einrichtung Einfluss auf ihre Förderattraktivität hat und Förderung etwa an einen bestimmten CO2-Ausstoß pro Besucher*in gekoppelt wird. Diese Befürchtung wirkt schlimmstenfalls abschreckend. Eine Einordnung wäre daher wünschenswert.

Vergleichbarkeit mit sich selbst und um voneinander zu lernen

Der zentrale Mehrwert einer Bilanzierung liegt in der Vergleichbarkeit einer Kultureinrichtung mit sich selbst. So liefern jährliche Bilanzen über einen längeren Zeitraum Informationen, mit deren Hilfe Nachhaltigkeitsmanager*innen Aussagen über die Wirkung von Klimaschutzmaßnahmen treffen können.

Außerdem kann man mit dem Tool auch Produkte bilanzieren. Damit sind in sich abgeschlossene Produktionen gemeint wie z. B. ein Festival, ein Theaterstück oder eine Ausstellung. Hier könnte der Vergleich dazu führen, voneinander zu lernen. Dies funktioniert z. B. gut „von Festival zu Festival“. Dieser Vergleich sollte jedoch stets freiwillig sein und mit dem Ansinnen, gemeinsam gute Ansätze für mehr Klimaschutz umzusetzen.

Autor*innen

  Franziska Mohaupt Referentin für nachhaltige Entwicklung franziska.mohaupt@soziokultur.de

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