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28.04.2020

#DEMOKRATIE

Entscheidungen? Von allen!

Von: Robert Hillmanns

Trägerschaft und Hierarchien

Demokratie beginnt in vielen soziokulturellen Zentren schon bei der Trägerschaft. Auch wenn es weitere Trägerschaftsformen wie die gGmbH oder die Stiftung gibt, sind die meisten Häuser als Vereine organisiert. In größeren Häusern kommen auch Verschränkungen vor: Zum Beispiel kann ein Verein Gesellschafter einer gemeinnützigen GmbH sein, wie im Falle des zakk in Düsseldorf. Im Verein kann jede*r (im Sinne der Satzung) Mitglied werden, sich in den Vorstand wählen lassen und dann unter anderem über die Einstellung einer Geschäftsführung mitentscheiden. Somit erfolgt schon deren Ernennung auf demokratischem Wege.

Innerhalb des Kernbetriebs existieren in den meisten Häusern flache Hierarchien, ausgehend von der Geschäftsführung. So auch im zakk. Hier kann der Geschäftsführer top-down alle grundlegenden Entscheidungen treffen. Im Normalfall werden langfristige Strategien und die programmatische Ausrichtung in der Programmplanungskonferenz gemeinschaftlich diskutiert, abgestimmt und entschieden. Im Bahnhof Langendreer in Bochum gibt es hingegen keine Geschäftsführung, sondern lediglich eine Person, die geschäftsführende Aufgaben übernimmt. Alle wichtigen Entscheidungen werden durch ein Hausteam entschieden, das im Wesentlichen aus den fest angestellten Mitarbeiter*innen besteht und alles bespricht, was im Haus anfällt – etwa Anschaffungen, Umbauten, größere Ausgaben, gerichtliche Probleme oder auch Personalentscheidungen. Komplizierte Sachverhalte werden durch AGs für die Sitzungen vorbereitet. Außerdem gibt es einen Haustarif, bestehend aus einem Einheitslohn, den bis auf wenige Ausnahmen alle fest angestellten Mitarbeiter*innen bekommen.

Rolle rückwärts

Die Kulturetage in Oldenburg ist aktuell dabei, einen neuen Weg der Mitbestimmung zu beschreiten. Mit dem Generationenwechsel wurde ein intensiver Beteiligungsprozess angestoßen, der die „Grundfesten“ des Hauses wie Werte der Zusammenarbeit, Mission, Vision und Entscheidungsstrukturen zwischen den Aktiven aus drei Generationen neu verhandelt. Diese bestehen, wie wohl in den meisten soziokulturellen Zentren, aus den Gründer*innen, den Bewahrer*innen und den jungen Kulturarbeiter*innen. Mit dem Generationenwechsel wurde ein intensiver Beteiligungsprozess angestoßen. Ein wesentliches Ergebnis des Prozesses ist im Kern die Rolle rückwärts: wieder weg von klaren Hierarchien, die im Zuge der Professionalisierung in den 1990er Jahren eingeführt wurden, hin zu mehr Mitbestimmung für alle.

 

Mitbestimmung bedeutet in soziokulturellen Zentren immer auch Zusatzarbeit.

 

Im Fall der Kulturetage hat dies zur Einführung eines Kulturrats geführt. Er besteht aus einem Gesamtrat, dem Geschäftsführung, Vorstand und ein Teil der Mitarbeiter*innen angehören. In den themenspezifischen Ausschüssen Finanzen, Personal, Zukunft und Politik wird dann gemeinsam die langfristige Strategie in den vier Feldern entwickelt. Im Bereich Personal könnte das beispielsweise die Frage sein, wie zukünftig Arbeitsverträge gestaltet werden oder der Stellenplan aussehen soll. In ihrem Zwischenbericht zum Zukunftsprozess schreibt die Kulturetage dazu: „Die Idee des Kulturrats zeigt eine Strukturveränderung, die Machtverhältnisse verschiebt und die Möglichkeit bietet auf Augenhöhe zu diskutieren, ohne lange Wege der Hierarchie zu durchlaufen. Außerdem ermöglicht sie Mitarbeiterbestimmung in einem abgesteckten Rahmen für mehr Stabilität und Klarheit von Rollen.“

Programm in Balance

Ein anderer Bereich, der Mitbestimmung ermöglicht, ist die Programmgestaltung. Dabei müssen viele soziokulturelle Zentren eine Balance zwischen kommerziell erfolgreichem Angebot und ihrem Anspruch „Kultur für alle von allen“ finden. In vielen großen soziokulturellen Zentren gibt es einen professionellen Booking-Bereich für Musik- und Kabarettveranstaltungen mit fest angestellten Programmplaner*innen. Andererseits gibt es Veranstaltungsbereiche, in denen Teilhabe explizit gefördert wird. Denn im Gegensatz zu anderen Kultureinrichtungen wie Stadttheater oder Museen sind die Barrieren, die Menschen davon abhalten, Ideen einzubringen, in soziokulturellen Zentren niedriger. Im zakk sind so beispielsweise der Poetry-Slam und andere Nachwuchsformate entstanden. Auch der Bereich Politik und Gesellschaft lebt von einem Netzwerk aus vielen Partner*innen, in dem Ideen gemeinsam entwickelt werden. Im Bereich Interkultur wird Teilhabe in der Programmgestaltung explizit gefördert. In einem mehrjährigen Prozess wurde beispielsweise eine syrische Gruppe ans Haus herangeführt, die nun eigenständig Veranstaltungen umsetzt. So realisieren soziokulturelle Zentren nicht nur gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe, sondern machen Akteur*innen, Themen und Ideen sichtbar und schaffen Öffentlichkeit für sie.

Kehrseiten

Demokratische Strukturen, flache Hierarchien und Mitbestimmung haben auch ihre Kehrseiten. So stellt sich die Frage, wer überhaupt mitentscheiden darf. Wie in der Demokratie als staatlichem Ordnungsprinzip, in dem es einen Unterschied zwischen Bürger*innen und Einwohner*innen gibt, haben in den Häusern viele Mitarbeiter*innen (insbesondere der dritten Generation) keine Stimme, weil sie nicht fest angestellt sind. Außerdem bekommen sie die investierte Arbeitszeit in AGs und Gremien nicht bezahlt. Mitbestimmung bedeutet in soziokulturellen Zentren immer auch Zusatzarbeit.

 

Ein Problem ist weiterhin, dass Wissen und Informationen in Organisationen nie gleichmäßig aufgeteilt sind. Selbst wenn es keine Geschäftsführung gibt, existieren Hierarchien in Bezug auf Wissen. Denn: Wissen ist Macht.

 

Ein Problem ist weiterhin, dass Wissen und Informationen in Organisationen nie gleichmäßig aufgeteilt sind. Selbst wenn es keine Geschäftsführung gibt, existieren Hierarchien in Bezug auf Wissen. Denn: Wissen ist Macht. Und nicht alle sind bereit, ihre Machtpositionen aufzugeben, indem Wissen mit allen geteilt wird. Außerdem ziehen sich gemeinsame Entscheidungsfindungsprozesse häufig in die Länge und am Ende kommt es womöglich zu einem Ergebnis, das trotzdem nicht alle glücklich macht. Das produziert Frust. Auf die Frage, ob überhaupt alle Mitarbeiter*innen Mitbestimmung wollen, antwortete übrigens eine Kollegin: „Nicht immer. Manchmal will man Einfachheit.“ Auch für die Soziokultur gilt also: Demokratie ist kein Selbstläufer.

 

Der Artikel ist in der Zeitschrift SOZIOkultur 1/2020 (Demokratie) erschienen.

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