Kulturelle Grundversorgung und Vielfalt erhalten – zu diesem Thema fand am 1. Dezember 2023 im Peter-Weiss-Haus in Rostock der erste Fachtag Soziokultur in Mecklenburg-Vorpommern statt. Eingeladen hatte der Landesverband Soziokultur. Mehr als 60 interessierte Besucher*innen waren gekommen, darunter Vertreter*innen der Landes- und Kommunalpolitik, Aktive aus soziokulturellen Einrichtungen sowie Interessierte aus anderen Verbänden und Netzwerken. Susanne Bowen, Staatssekretärin im Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten Mecklenburg-Vorpommern, und Eva-Maria Kröger, Oberbürgermeisterin der Hansestadt Rostock, begrüßten das Fachpublikum und betonten die Bedeutung der Soziokultur.
Evaluation: Wie geht's der Soziokultur in Mecklenburg-Vorpommern?
Doch wie geht es der Soziokultur im Nordosten? Welche Auswirkungen hatten und haben Corona-Pandemie, Energiekrise und Rechtsruck auf die Zentren und Initiativen in Mecklenburg-Vorpommern? Was braucht es, um ein lebendiges soziokulturelles Leben im Land zu erhalten und zukunftsfähig zu gestalten? Funktioniert der Generationenwechsel in den Einrichtungen? Gibt es Nachwuchs im Haupt- und Ehrenamt?
Im Rahmen des Projektes „Tour de Soziokultur“ hatte der Landesverband Soziokultur Antworten auf diese Fragen gesucht. Das vom Fonds Soziokultur und dem Land Mecklenburg-Vorpommern geförderte Projekt wurde von Oktober 2022 bis Oktober 2023 durchgeführt, alle 56 Mitgliedseinrichtungen des Landesverbandes waren eingeladen, an einem persönlichen Gespräch und einer Online-Befragung teilzunehmen. Deren Ergebnisse wurden auf dem Fachtag präsentiert.
Was sagt die Statistik?
Die größte Herausforderung für soziokulturelle Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern ist die finanzielle Absicherung: Angemessene Honorare für Künstler*innen, steigende Preise durch die Inflation, die Abhängigkeit von Förderungen und die Ungewissheit über die Publikumszahlen bereiten den Engagierten im Land Sorgen. Um die anfallende Arbeit gut bewältigen zu können, bräuchten die Einrichtungen durchschnittlich 2,5 zusätzliche Vollzeitstellen. Mehr Mitarbeiter*innen einzustellen und diese in Anlehnung an die Entgeltstufen des öffentlichen Dienstes zu entlohnen, ist für sie aber genauso wenig leistbar wie die Zahlung von angemessenen Honoraren an Künstler*innen. Die soziokulturellen Zentren wollen gern fair bezahlen, die Mittel aus der Kulturförderung der Kommunen und des Landes reichen aber bei Weitem nicht aus. Ohne Erhöhung der Fördersummen stellt die Verpflichtung zur Zahlung von verbindlichen Mindesthonoraren, wie sie die Landeskulturförderrichtlinie vorsieht, Vereine vor ein nahezu unlösbares Dilemma; siehe auch unter www.kulturverbände mv.de/2023/11/08/mindesthonorare. Höhere Kosten sollen nicht an Nutzer*innen weitergegeben werden, kulturelle Teilhabe soll allen offenstehen. Denn nur so kann Soziokultur auch in Zukunft demokratiefördernd wirken.
Aktuelle Themen? Demokratie, Armut, Rassismus, Digitalisierung, KI
Mit ihren Angeboten greifen die Zentren gesellschaftliche Fragen auf und ermöglichen die Teilhabe vieler. In mehr als 80 Prozent der befragten Einrichtungen finden Kurse oder Workshops statt, Formate, die aktive Beteiligung fördern. Fast alle gaben an, in ihren Programmen auf aktuelle Themen wie Demokratie, Jugendbeteiligung, Teilhabe und Zusammenhalt einzugehen, aber auch auf Armut, Rassismus und andere Diskriminierungen, die Menschen von der Teilhabe ausschließen. Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit finden genauso Berücksichtigung wie Migration, Flucht, Asyl und Integration oder Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Die Angebote entstehen in der Regel gemeinschaftlich, unter Beteiligung der Nutzer*innen.
Zukunftsfragen
Diese Erkenntnisse aus der „Tour de Soziokultur“ bildeten die Grundlage für den Diskurs auf dem Fachtag. Vertreter*innen der Vereine äußerten sich aber auch besorgt über undemokratische Tendenzen im ganzen Land, die manchmal motivierend, oft aber auch hemmend wirken. Sebastian Schubert, Projektkoordinator für das mobile Tanzlokal Fette Elke im Verein Rock gegen Rechts MV, stellte fest: „Der Soziokultur sollten weniger Steine in den Weg gelegt werden. Das Land muss für die Sicherheit von Veranstaltungen sorgen, wenn es Drohungen aus der rechten Szene gibt. Es darf nicht passieren, dass Veranstaltungen aus Angst abgesagt werden.“
Soziokultur stärkt Demokratie: kulturelle Grundversorgung erhalten
Vier Impulsvorträge widmeten sich den dringenden Zukunftsfragen. Ellen Ahbe, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Soziokultur, verwies auf das Demokratie stärkende Potenzial soziokultureller Zentren und Initiativen. Sie können Räume schaffen für Dialog und Begegnungen, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen gesichert sind. Zum Thema Grundversorgung berichtete Ernestine Feustel-Liess über die inspirierende Erfolgsgeschichte des Vereins Das lebendige Dorf aus Lüchow in Mecklenburg.
Franziska Mohaupt, Nachhaltigkeitsreferentin beim Bundesverband Soziokultur, lud zum Austausch über nachhaltige Ideen und Lösungen für eine betriebsökologische Ausrichtung ein. Anne-Marie Freitag, Geschäftsführerin der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Mecklenburg-Vorpommern, sprach zu Nachwuchsgewinnung und Generationenwechsel in gemeinnützigen Kultureinrichtungen.
Themen der Soziokultur: Demokratie stärken, Grundversorgung sichern, nachhaltig handeln und Nachwuchs gewinnen
Demokratie stärken, Grundversorgung sichern, nachhaltig handeln und Nachwuchs gewinnen: Am Nachmittag wurden diese Themen in Themenräumen vertieft. Deren Ergebnisse und die Zukunft der Soziokultur diskutierte Moderatorin Jana Sonnenberg in einem Abschlusspodium
mit Ellen Ahbe, Katerina Schumacher vom Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten Mecklenburg-Vorpommern und Ronald Richardt vom Kornhaus Bad Doberan.
Fachtag schärfte Profil der Soziokultur in Mecklenburg-Vorpommern
Ellen Ahbe stellte heraus, dass die Fähigkeit der Soziokultur, Räume für ein demokratisches Miteinander zu etablieren und zu stärken, angesichts der Kommunalwahlen in diesem Jahr besondere Bedeutung erlangt und sich die Mitgliedseinrichtungen verstärkt dem Thema widmen wollen.
Katerina Schumacher resümierte, dass für sie der Fachtag das Profil der Soziokultur geschärft habe. Sie versprach eine schrittweise Anpassung des Fördersystems an die Bedarfe der Soziokultur, gern in Zusammenarbeit mit einer Fachstelle Soziokultur, die ab 2024 geschaffen werden soll. Ronald Richardt wünschte sich einen Ausbau der kulturellen Grundversorgung. Dazu seien längerfristige Förderperioden, die Verstetigung finanzieller Unterstützung und die rechtzeitige Auszahlung von öffentlichen Fördermitteln notwendig.
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Dieser Beitrag ist erschienen in der SOZIOkultur 2024 Demokratie.