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23.07.2024

#DEMOKRATIE, Aktuelles, Demokratie, Magazin SOZIOkultur, Streifzüge durch die Soziokultur

Wie stärkt Soziokultur Demokratie? Als selbstorganisiertes Kultursyndikat

DoK 15518 entwickelt drei soziokulturell nachhaltige Kulturknotenpunkte im ländlichen Raum Brandenburgs

Auf dem Land sein heißt am Rand sein. Aber der Rand ist nicht automatisch das Ende, ist nicht allein die Abbruchkante vom alten Tagebau, ist nicht nur das Feld, das in den trockener werdenden Sommern dürr und staubig neben dem Straßenrand beginnt. Auf dem Land ist der Rand oft das, wo etwas Neues beginnt, etwas geschieht.

Zwischen Altem, Neuem und Noch-nicht

Die Geschichte vom „DoK 15518“ beginnt im Dreieck zwischen Altem, Neuem und dem Noch-nicht. „DoK“ steht für Dorfkunst, 15518 ist die Postleitzahl der Gemeinde Steinhöfel (Landkreis Oder-Spree). Das verstehen alle hier. Ob sie schon länger ihre Post an die 15518 schicken
lassen oder erst seit kurzem, ob sie schon länger vor Ort leben, als es die 15518 überhaupt gibt, oder auch, wenn sie gar keine vierstelligen Postleitzahlen mehr kennen.

Der Landkreis Oder-Spree liegt im südöstlichen Brandenburg. Wie im gesamten Bundesland treffen die Fläche und die Metropole, die mittendrin hockt wie in einem ausgefransten Nest, ständig aufeinander – in Form von Ideen, Politik, Geschichte(n), Lebenskonzepten. „Die Berliner“ – Synonym für „Stadtmenschen“ – stellen sich dabei genau so wenig als homogene Gesellschaft dar wie die ländliche Gemeinschaft jenseits der Großstadt eine ist. Wer sich das erzählen lässt, will vielleicht lieber in Kategorien denken, anstatt sie in Frage zu stellen.

Wie kann eine gemeinschaftliche und vielfältige Regionalentwicklung von unten funktionieren? Wie wollen wir hier auf dem Dorf im Schatten und im Licht der Stadt zusammen gut leben? Welche Bedeutung haben Kunst und Kultur im Bezug auf Geschichte, Leben, Arbeit und Alltag der sehr unterschiedlichen Menschen vor Ort?

Beim „DoK 15518 “ wird viel und gern gefragt. Unter anderem: Wie kann eine gemeinschaftliche und vielfältige Regionalentwicklung von unten funktionieren? Wie wollen wir hier auf dem Dorf im Schatten und im Licht der Stadt zusammen gut leben? Welche Bedeutung haben Kunst und Kultur im Bezug auf Geschichte, Leben, Arbeit und Alltag der sehr unterschiedlichen Menschen vor Ort? Diese Fragen zu diskutieren oder auch nur zusammen Dinge zu tun und zu genießen, sind alle eingeladen. Ob Kinoabend oder Solarpanel-Bauseminar in der Zusane in Neuendorf im Sande, Pflanztag und Kunst-Ausstellung bei LandKunstLeben in Buchholz, Töpferwerkstatt und galaktisch-phantastisches Halloweenfest im Haus des Wandels in Heinersdorf: An allen drei Standorten vom „DoK 15518“ in verschiedenen Ortsteilen der Gemeinde wächst die Idee eines Kultursyndikats mit jedem Tag – und ein soziokulturell nachhaltiger Kulturknotenpunkt im ländlichen Raum.

DoK 15518: Selbstorganisiert statt Fördermittelorientiert?

Dieser Prozess ist deshalb lebendig, weil hier viele Menschen ein großes Interesse an der Gestaltung von Lebensraum und damit verbunden an Selbstorganisation haben. Nicht nur Eigensinn, sondern auch ein Sinn fürs Konkrete, dazu unverkrampfte Diskussionsprozesse, in denen es nicht immer bürokratisch-korrekt zugeht, können oft treffender den Bedarf ermitteln als über Jahre in Ausschüssen, Amtsstuben oder politischen Entscheidungszentralen erdachte Entwicklungskonzepte für die „strukturarmen Regionen“. Schwerfällig und schwergewichtig kommen diese daher und erscheinen den Menschen oft als Zumutung. Denn beim besten Willen: Wer soll solche manchmal Tausende von Seiten umfassenden, in Verwaltungsdeutsch verfassten Schriftstücke, all die Vorgaben, Verordnungen, Normen und Bescheide in der knappen dem Alltag für die Ausübung des Ehrenamts abgerungenen Zeit lesen, verstehen und auch noch bearbeiten? Fördermittel beantragen, Berichte schreiben, A4-Blatt um A4-Blatt füllen, ausdrucken, kopieren, abheften, aufbewahren?

Nicht auf dem Papier, sondern im Reallabor entsteht die Gemeinschaft

Die Erfahrung, einen enormen Verwaltungsaufwand bewältigen zu müssen, der nicht im Vergleich zu dem steht, was an geförderter soziokultureller Arbeit passieren soll, machen viele Aktive und Projekte. Das „DoK 15518“ nimmt diesen Missstand auf und wendet ihn zur „Kunst, sich selbst zu verwalten“ - oder auch zum Inhalt der Jahresausstellung 2023 mit dem Titel AN/AUS LAGE.

Open Source im echten Leben: Tauschen von Ressourcen und Wissen

Ressourcen und Wissensschätze werden geteilt und weitergegeben, ob es dabei um Veranstaltungstechnik, Öffentlichkeitsarbeit, Pflanzenkunde, Komposttoilette oder um Care-, Emanzipations- und Demokratiearbeit geht. Generationen- und projektübergreifend wird getauscht und genutzt, Nachhaltigkeit erforscht und erlebt. Nicht auf dem Papier, sondern im Reallabor entsteht die Gemeinschaft. Ob es dieselbe ist, von der in Förderprogrammen die Rede ist? Diese Frage lässt sich nur derjenigen beantworten, die vorbeikommt, als Besucherin, Teilnehmerin, Mitkünstlerin.

Halloween-Spektakel vernetzt Dorfgemeinde mit Stadtgestalten

Gelegenheiten gibt es derer viele, aber eine besonders zu empfehlende ist das spektakulär ausgeleuchtete Halloween-Spektakel im Haus des Wandels. Statt Zucker und Horror entfaltet sich alljährlich der Zauber der Nachbarschaft zwischen Dorfgemeinde und Stadtgestalten bei Feuer, Essen, Musik und Theater. Zu Hunderten kommen sie dann herbei, denn der Eintritt ist frei und das hiesige Motto „Heiter trotz alledem“ schmeckt vielen so gut wie die warme Suppe.

Das „DoK 15518“ ist erst drei Jahre jung und doch schon weise, denn es kann erzählen: Offene, selbstorganisierte Gemeinschaften bieten sowohl lokal als auch in den unterschiedlichsten Netzwerken viele Anschlussmöglichkeiten für vollkommen unterschiedliche Menschen. Und auch wenn diese Geschichte nicht ganz neu ist, lohnt es sich, jeden Tag eine neue Seite darin aufzuschlagen. Im A4-Format kommt sie allerdings selten daher.

__________

Text: Claudia Krieg, Pressearbeit beim Projekt „DoK 15518“.

Dieser Beitrag ist erschienen in der SOZIOkultur 2024 Demokratie.

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