Ein Gespräch mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth über die Bedeutung von Soziokultur für den nachhaltigen Wandel, „Green Culture Desk“ sowie den „KulturPass“.
Die Fragen stellte Jennifer Tharr, Referentin für Kulturpolitik beim Bundesverband Soziokultur e.V.
Auf der Veranstaltung „Green Culture. Nachhaltigkeit in Krisenzeiten“ Mitte November letzten Jahres in Berlin betonten Sie, dass ökologische Transformation eine Gemeinschaftsaufgabe der gesamten Gesellschaft und somit auch des gesamten Kulturbetriebs sei. Im letzten Jahr hat der Bundesverband Soziokultur den Bericht „Das braucht’s! – Nachhaltige Entwicklung in der Soziokultur“ veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass die nachhaltige Ausrichtung in soziokulturellen Einrichtungen selbst bei geringen Ressourcen häufig mitgedacht wird und vieles Routine geworden ist. Worin liegt Ihrer Ansicht nach das besondere Potential der Soziokultur, um den nachhaltigen Wandel weiter voranzubringen?
Die Klimakrise ist die Überlebensfrage unserer Zeit, der wir nur gemeinsam entgegentreten können. Die Kultur kann viel dazu beitragen, dass uns das gelingt. Denn sie durchdringt alle gesellschaftlichen Bereiche und hat eine riesige Breitenwirkung. Auch als Vermittlerin von Werten kommt der Kultur beim gesellschaftlichen Wandel eine sehr wichtige Rolle zu. Und dies gilt ganz besonders auch für die Soziokultur. Denn die Akteurinnen und Akteure der Soziokultur prägen und gestalten gesellschaftspolitische Debatten mit den Mitteln der Künste. Für die vielfältigen Aktivitäten des Bundesverbands Soziokultur auf diesem Gebiet bedanke ich mich ganz herzlich bei Ihnen.
Nur gemeinsam, im engen Schulterschluss von Bund, Land, Kommunen und Zivilgesellschaft werden wir die großen Probleme unserer Zeit lösen. Die Bedeutung der Kultur und insbesondere der Soziokultur lässt sich dabei gar nicht überschätzen.
Während die Soziokultur bei Konsumentscheidungen und im vermittelnden Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung tut, was sie kann, fehlt es ihr an Mitteln, um den Investitionsstau für die dringend notwendigen energetischen Sanierungen in den oftmals nicht für den Kulturbetrieb vorgesehenen Gebäuden vor anzutreiben. Der eigentlich nachhaltige Gedanke der Umnutzung von Industriebrachen und der Wiederbelegung von Leerstand wird zu einer finanziell erheblichen Herausforderung.
Gerade kleinere, überwiegend ehrenamtliche geführte Einrichtungen wissen nicht, wie sie notwendige Sanierungen stemmen sollen. Gibt es Pläne von Seiten der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für eine nachhaltige Investitionsförderung?
Die soziokulturellen Einrichtungen leisten echte Pionierarbeit bei der Umnutzung von Leerstand oder von Brachen für zivilgesellschaftliche Aktivitäten – das ist gelebte Nachhaltigkeit, die Soziokultur ist hier ein wichtiges Vorbild. Grundsätzlich gibt es einen hohen Investitionsbedarf in unserem Land, den wir an viel zu vielen Stellen teilweise sehr schmerzhaft spüren. Die Bundesregierung ist sich dieses Problems bewusst, das anzugehen ist eine unserer zentralen Aufgaben. Deshalb wurde auch der Klima- und Transformationsfonds eingerichtet: Wir stellen gewaltige Beträge zur Verfügung, gerade weil wir um die Folgen von schlechter Dämmung oder alter Bausubstanz wissen! Grundsätzlich liegt die Zuständigkeit für die kulturelle Infrastruktur jedoch bei den Kommunen. Auch wenn dem Bund eine große Verantwortung für die ökologische Transformation unseres Landes zukommt, wird dadurch die föderale Struktur nicht außer Kraft gesetzt. Das gilt gerade auch für die Kulturhoheit der Länder. Fest steht: Nur gemeinsam, im engen Schulterschluss von Bund, Land, Kommunen und Zivilgesellschaft werden wir die großen Probleme unserer Zeit lösen. Die Bedeutung der Kultur und insbesondere der Soziokultur lässt sich dabei gar nicht überschätzen.
Beratung soll eine zentrale Aufgabe der geplanten Anlaufstelle „Green Culture Desk“ sein.
Der Bericht „Das braucht’s!“ hat unter anderem gezeigt, dass es einen großen Bedarf an Beratung zur Einführung eines systematischen Nachhaltigkeitsmanagements gibt. Wird die Anlaufstelle „Green Culture Desk“ des Bundes für ökologische und nachhaltige Transformation des Kultur und Medienbetriebs eine Adresse sein, an die sich soziokulturellen Einrichtungen bald direkt wenden können?
Ja, Beratung soll eine zentrale Aufgabe der geplanten Anlaufstelle sein. Dabei spielt auch das „Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien“ eine wichtige Rolle, das von meinem Haus schon heute gefördert wird. Inzwischen arbeitet das Aktionsnetzwerk mit vielen Partnern in ganz Deutschland zusammen, um den ökologischen Fußabdruck von Einrichtungen zu minimieren und Transformationsmanager*innen auszubilden. Dieses Angebot wird mit der Anlaufstelle nun deutlich ausgebaut und durch weitere Aktivitäten flankiert.
Die Anlaufstelle soll dabei unabhängig agieren. Das bedeutet: Wir werden sie verlässlich fördern, sie soll aber auch Spielräume für eigene Initiativen und weitere Unterstützerinnen und Unterstützer erhalten, um ihren Aktionsradius immer weiter auszubauen. Wir finanzieren also die „Grundausstattung“, damit die Anlaufstelle ab 2023 wie geplant weitere Module anbieten kann. Wir freuen uns dann über jeden weiteren Partner, der seine finanzielle und fachliche Expertise anbietet. Auch alle Kulturschaffenden, die einen Beitrag zur ökologischen Transformation unseres Landes leisten wollen, sind herzlich willkommen. Für 2023 planen wir in diesem Zusammenhang drei Regionalkonferenzen, bei denen wir über die konkreten Erwartungen an die Ausgestaltung der Anlaufstelle diskutieren werden.
In den ländlichen Räumen sind soziokulturelle Einrichtungen oftmals der einzige Ort für Austausch, Begegnung und kulturelle Teilhabe. Durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien wurden 2020/21 mit dem Sofortprogramm LAND INTAKT 147 soziokulturelle Zentren, Kulturhäuser sowie Kultur und Bürgerzentren mit 2,76 Millionen Euro aus Mitteln des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung unterstützt, um dringend notwendige Maßnahmen zur Instandsetzung der Häuser durchzuführen. Die Dankbarkeit der geförderten Einrichtungen war riesengroß, da LAND INTAKT so passgenau auf sie zugeschnitten war und damit auch viel Wertschätzung für die Häuser und ihre wichtige Arbeit von Seiten des Bundes zum Ausdruck gebracht wurde. Was halten Sie von einem LAND INTAKT Nr. 2, um weiteren dieser Einrichtungen die Möglichkeit zu geben, sich zu grundlegend zu erhalten und zu modernisieren?
LAND INTAKT war ein erfolgreiches Projekt, das von meinem Haus gefördert und vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft finanziert wurde. Diese Initiative war als reines Modellprojekt konzipiert, deshalb ist keine Fortsetzung oder Verstetigung geplant. Ich danke dem Bundesverband Soziokultur und allen beteiligten soziokulturellen Zentren und Akteuren ausdrücklich für ihr Engagement. Durch LAND INTAKT konnten in ländlichen Räumen und strukturschwachen Regionen lebendige kulturelle Teilhabe und Orte der Begegnung erhalten werden. Auch dieses Projekt hat gezeigt, wie wichtig Kultur für unsere Gesellschaft ist – denn sie vermag es, Identität zu stiften und Gemeinschaft zu bilden.
Der „KulturPass“ kommt! Herzliche Gratulation zu dieser tollen Initiative, die der jungen Generation ermöglichen soll, ihre Kultur vor Ort zu erleben. Bislang ist vor allem von Theater, Konzert, Kino oder Museumsbesuchen die Rede. Ungefähr ein Viertel der Nutzer*innen von soziokulturellen Einrichtungen sind jünger als 20 Jahre. Das Veranstaltungsprogramm und Angebote der kulturellen Bildung werden hier von jungen Freiwilligen mitgestaltet und sind somit sehr attraktiv für diese Altersgruppe. Wird der „KulturPass“ auch für diese vielfältigen und niedrigschwelligen Angebote der Soziokultur einsetzbar sein?
Ja, selbstverständlich. Der „KulturPass“ besteht aus 200 Euro Guthaben. Und dieses Guthaben können die Jugendlichen auf einer digitalen Plattform einlösen: für Live-Kultur, physische Kulturprodukte wie Bücher und natürlich auch für Soziokultur. Die Veranstalterinnen und Veranstalter von Soziokultur müssen sich dafür nur auf der Plattform registrieren und dann ihre Veranstaltungen und Projekte dort anbieten. Die Registrierungsphase wird im März oder April beginnen. Ich möchte schon jetzt dazu aufrufen, dass möglichst viele Kultureinrichtungen gerade auch aus dem Bereich der Soziokultur mitmachen und diese großartige Chance nutzen.
Dieser Beitrag ist erschienen in der SOZIOkultur 1/2023 Energie