Die Kulturzentren Treibhaus in Döbeln und Rabryka in Görlitz waren vor den Landtagswahlen in Sachsen Teil einer internationalen medialen Berichterstattung. Sogar die New York Times gab alltagsnahe Einblicke in die aktuelle Situation und Arbeit der beiden soziokulturellen Zentren. Wir stellen diese Einrichtungen näher vor.
Das Treibhaus in Döbeln
Döbeln befindet sich in Mittelsachsen mitten im Dreieck Leipzig, Dresden, Chemnitz. Der soziokulturelle Verein Treibhaus e.V. bietet hier seit 1997 Projekte und Veranstaltungen für ein generationenübergreifendes Publikum an. Das Programm reicht von Kunstprojekten und Ferienangeboten für Kinder über Vorträge und Konzertabende bis hin zu Seniorentanzkursen. Auch Werkstätten wie Siebdruck, eine Fahrradwerkstatt oder ein Nähcafé gehören zum Angebot. Der Verein organisiert Veranstaltungen vor allem im Café Courage und im Haus der Vielfalt. Seit der Gründung des Treibhaus gestalten hier Jugendliche und junge Leute das Programm mit.
Die Rabryka in Görlitz
In Ostsachsen, an der polnischen Grenze in Görlitz, ist die Rabryka seit 2020 in einem sanierten Waggonwerk zu finden. „Rabryka" ist ein Kunstwort, das aus dem polnischen „fabryka“ und dem deutschen „rot“ zusammengesetzt ist und so auf das Backsteingebäude anspielt. Das Kulturzentrum verfügt über Konzertsaal und Kneipe, ein Tonstudio, einen selbstverwalteten Jugendklub, einen Gemeinschaftsgarten, eine Holzwerkstatt und einen Makerspace. Der Trägerverein Second Attempt e.V. gründete sich schon 2003 - als Plattform für bürgerschaftliches Engagement, die engagierten Menschen ein Netzwerk, Infrastruktur und personelle Unterstützung zur Verfügung stellt.
Urban Lefties und Roller Skate Disco
Ein jährlicher Höhepunkt auf dem Rabryka-Gelände ist das „Fokus Festival“. Die New York Times ordnet es in einer Dokumentation über Görlitz so ein: „There, L.G.B.T.Q. activists mingle with recent arrivals to Germany and unabashed urban leftists. People can learn to salsa, party at the old-fashioned roller skate disco, take in an exhibition on nature or simply hang out.
Organizers are careful to keep politics out of the event, saying their goal is to reduce barriers. Still, for many, the festival is a safe zone where they can enjoy themselves without having to be on guard against their far-right peers.“
[„Dort mischen sich L.G.B.T.Q.-Aktivisten mit Neuankömmlingen in Deutschland und linken Städtern. Man kann Salsa lernen, in der altmodischen Rollschuhdisco feiern, eine Ausstellung über die Natur besuchen oder einfach nur abhängen.
Die Organisator*innen bemühen sich, die Politik außen vor zu lassen. Ihr Ziel ist es, Barrieren abzubauen. Dennoch ist das Festival für viele ein geschützter Raum, in dem sie sich amüsieren können, ohne sich vor ihren rechtsextremen Mitmenschen in Acht nehmen zu müssen.“]
Wo das Miteinander gelingt
Treibhaus und Rabryka arbeiten intensiv an der Schnittstelle von Jugend(sozial)arbeit und Kulturarbeit. Ihr Anliegen ist es, Menschen vor Ort in Austausch zu bringen, gerade vor dem Hintergrund sehr kontroverser Meinungen in der Bevölkerung über aktuelle Themen wie Migration, Klimaschutz oder Sicherheit.
Im Podcast „Kompressor“ von Deutschlandfunk Kultur berichtet Clemens Albrecht, Geschäftsführer des Treibhaus e.V., von einem entspannt verlaufenen Vortrags- und Diskussionsabend zum Thema „Remigrationsrecherche“ mit Marcus Bensmann, Investigativjournalist für das Recherchenetzwerk Correctiv. Entspannt deshalb, weil an dem Abend niemand anwesend war, der der AfD offen gegenübersteht. Andere Veranstaltungen, zum Beispiel zum Thema Klimaschutz, verlaufen jedoch durchaus kontrovers.
Frei, offen und beschützt leben
Der Beitrag „Wo das demokratische Miteinander gelingt" des Deutschlandfunk beleuchtet das Treibhaus ausgehend von seiner Funktion als Schutzraum vor rechten Angriffen, besonders in den 90er Jahren, und seiner Aufgabe, alternative Jugendkultur zu fördern und ihr einen Raum zu geben. Inzwischen gehören die Beratung von Migrant*innen und Senior*innen, Projekte zur Demokratiestärkung sowie Vorträge zu Rassismus und NS-Geschichte zum Portfolio des Treibhaus. „Wir möchten frei, offen und beschützt leben können“, sagt Clemens Albrecht im Hörbeitrag.
Soziokultur als pauschalisiertes Feindbild
Die Ergebnisse der Landtagswahlen in der Region Mittelsachsen, zu der Döbeln zählt, bestätigten den prognostizierten Rechtsruck. „Natürlich waren die Ergebnisse ein Schock. Aber sie kamen natürlich auch nicht unerwartet“, so Albrecht. Der Verein hat ein Statement zur Landtagswahl auf die Homepage gestellt: „Für uns haben die Ergebnisse der Landtagswahl große Bedeutung, weil unsere Arbeit zu großen Teilen von Fördermitteln abhängig ist. Dies betrifft unter anderem unsere Projekte ‚Willkommen in Döbeln‘ und ‚Werkstadt‘. Deren Fortführung ab Januar 2025 ist ungewiss.“
Und im Landkreis Görlitz erreichte die AfD teilweise sogar bis über 40 Prozent der Stimmenanteile. Auch für Julia Schlüter, Geschäftsführerin des Second Attempt e.V., keine wirkliche Überraschung. „Diese Entwicklung war vor fünf Jahren schon abzusehen ... und Soziokultur ist eben ein pauschalisiertes Feindbild der AfD.“ Bisher konnte sich der Trägerverein der Rabryka gegen die AfD-Anträge auf Fördergeldkürzungen und Kündigungen erfolgreich wehren. Denn die Rabryka hat Fürsprecher in der Politik. „Die Zusammenarbeit mit der Kommune empfinden wir als vertrauensvoll,“ ergänzt Julia Schlüter.
Das Problem Projektförderung
Die zeitlich auf ein Jahr begrenzten Fördermittel sind seit jeher ein Problem. Julia Schlüter und Clemens Albrecht sind sich da einig. Die kurzfristige Planung und Umsetzung der Angebote sind sie inzwischen gewohnt, genau das ist aber auch sehr herausfordernd und eben nicht zukunftssicher. Hier besteht die akute Gefahr, dass sich der wachsende Einfluss der AfD bemerkbar macht. Förderungen könnten durch sie verhindert werden. Stimmt die Kommune der jährlichen Förderung nicht zu, würde auch die Kulturraumförderung des Landes Sachsen zur Disposition stehen. Ebenso umgekehrt: Die personelle Zusammensetzung der vom Land besetzten fachspezifischen Gremien und Konvente könnte sich durch die Wahlergebnisse ändern – im ungünstigen Fall zugunsten rechtsorientierter Mehrheiten. „Abwarten“, sagen Rabryka und Treibhaus. Sie verfolgen weiter einen pragmatischen und essenziell wichtigen Weg, indem sie Begegnungsorte für Offenheit, Toleranz, Experiment und Kreativität anbieten.
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