Lange Zeit waren Kneipen und Wirtshäuser wichtige Begegnungsorte, vor allem im ländlichen Raum. Das Kneipensterben ist nur ein Symptom eines breiteren Prozesses: Deutschlands Begegnungsorte, vor allem die, an denen sich die Breite der Bevölkerung trifft – Schwimmbäder und Bibliotheken, Kulturangebote, Nachbarschaftstreffs – sind in den letzten Jahrzehnten weniger geworden. Das ist eine Nebenfolge mindestens dreier Prozesse: einer Individualisierung der Lebensgestaltung, des Rückzugs des Staates vor allem aus freiwilligen kommunalen Leistungen, aber auch aus vielen öffentlichen Infrastrukturen, und der zunehmenden Separierung der Wohnumgebungen nach Einkommen und Bildungsstand.
Das führt zu zunehmender Homophilie: Im eigenen Umfeld, in der Nachbarschaft, aber auch an Bildungsinstitutionen umgibt man sich verstärkt mit Menschen, die so sind wie man selbst. Es fehlt die Irritation der Anderen. Und gerade in turbulenten Zeiten, in denen sich die Koordinaten von Normalität zunehmend schnell ändern, braucht es genau diese Irritation. Denn sie rückt Stereotype zurecht und stärkt das Vertrauen der Menschen ineinander.
Wir sollten Begegnungsorte deshalb heute neu denken. Einige Anregungen:
- Wir brauchen mehr multifunktionale Orte. Menschen kommen aus unterschiedlichen Gründen an diese Orte, Gesellschaft mischt sich – und man teilt sich die Infrastrukturkosten. Ob Nachbarschaftszentrum, moderne Bibliothek, umgebautes Kauf- oder Herrenhaus – die Möglichkeiten sind vielfältig.
- Wir sollten neue Allianzen bilden, denn der Staat wird nicht mehr mit derselben Kraft in öffentliche Infrastrukturen investieren wie bis in die 1980er Jahre. Diese Allianzen sollten möglichst aus dem Dreigespann Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bestehen. Alle drei Akteure bringen verschiedene Kompetenzen mit, zusammen können sie mehr erreichen als allein.
- Beteiligung sollte es nicht nur bei der Gestaltung von Orten geben, sondern auch während ihres Betriebes. Menschen eignen sich Orte so an, begreifen sie als ihre, kümmern sich mit um sie. Das führt zu atmenden, also flexiblen, schnell umbaubaren Orten – was sich am besten auch in ihrer baulichen Beschaffenheit ausdrückt.
- Wir sollten Orte nicht Demokratie, Politische Bildung, Einsamkeits- oder Begegnungsort nennen. Das schreckt Menschen ab, die mindestens skeptisch gegenüber diesen Begriffen sind, die abgeschreckt werden von akademischen Debatten. Orte, die im Alltag oder der Freizeit anknüpfen, sind besser geeignet, um Gesellschaft miteinander in Kontakt zu bringen.
- Orte brauchen eine „inklusive Qualität“ (Peter Siller): Sie müssen ihrem Zweck gut entsprechen (Qualität) und möglichst breit zugänglich sein. Dafür muss man sich der jeweils spezifischen Hürden jedes Ortes bewusstwerden und diese nach Möglichkeit abbauen.
So schaffen wir als Gesellschaft neue Begegnungsorte, die ganz verschiedene Menschen miteinander in Kontakt bringen. Das stärkt mittelfristig die sozialen Grundlagen unserer Demokratie.
Text: Rainald Manthe


