standard-logo

02.10.2025

Treffpunkt Allzeitorte

Rainald Manthe: Die Stammtische der Zukunft: Begegnungsorte neu denken und schaffen

Über Alltagsorte der Begegnung und Demokratie

Lange Zeit waren Kneipen und Wirtshäuser wichtige Begegnungsorte, vor allem im ländlichen Raum. Das Kneipensterben ist nur ein Symptom eines breiteren Prozesses: Deutschlands Begegnungsorte, vor allem die, an denen sich die Breite der Bevölkerung trifft – Schwimmbäder und Bibliotheken, Kulturangebote, Nachbarschaftstreffs – sind in den letzten Jahrzehnten weniger geworden. Das ist eine Nebenfolge mindestens dreier Prozesse: einer Individualisierung der Lebensgestaltung, des Rückzugs des Staates vor allem aus freiwilligen kommunalen Leistungen, aber auch aus vielen öffentlichen Infrastrukturen, und der zunehmenden Separierung der Wohnumgebungen nach Einkommen und Bildungsstand.

Das führt zu zunehmender Homophilie: Im eigenen Umfeld, in der Nachbarschaft, aber auch an Bildungsinstitutionen umgibt man sich verstärkt mit Menschen, die so sind wie man selbst. Es fehlt die Irritation der Anderen. Und gerade in turbulenten Zeiten, in denen sich die Koordinaten von Normalität zunehmend schnell ändern, braucht es genau diese Irritation. Denn sie rückt Stereotype zurecht und stärkt das Vertrauen der Menschen ineinander.

Wir sollten Begegnungsorte deshalb heute neu denken. Einige Anregungen:

  • Wir brauchen mehr multifunktionale Orte. Menschen kommen aus unterschiedlichen Gründen an diese Orte, Gesellschaft mischt sich – und man teilt sich die Infrastrukturkosten. Ob Nachbarschaftszentrum, moderne Bibliothek, umgebautes Kauf- oder Herrenhaus – die Möglichkeiten sind vielfältig.
  • Wir sollten neue Allianzen bilden, denn der Staat wird nicht mehr mit derselben Kraft in öffentliche Infrastrukturen investieren wie bis in die 1980er Jahre. Diese Allianzen sollten möglichst aus dem Dreigespann Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bestehen. Alle drei Akteure bringen verschiedene Kompetenzen mit, zusammen können sie mehr erreichen als allein.
  • Beteiligung sollte es nicht nur bei der Gestaltung von Orten geben, sondern auch während ihres Betriebes. Menschen eignen sich Orte so an, begreifen sie als ihre, kümmern sich mit um sie. Das führt zu atmenden, also flexiblen, schnell umbaubaren Orten – was sich am besten auch in ihrer baulichen Beschaffenheit ausdrückt.
  • Wir sollten Orte nicht Demokratie, Politische Bildung, Einsamkeits- oder Begegnungsort nennen. Das schreckt Menschen ab, die mindestens skeptisch gegenüber diesen Begriffen sind, die abgeschreckt werden von akademischen Debatten. Orte, die im Alltag oder der Freizeit anknüpfen, sind besser geeignet, um Gesellschaft miteinander in Kontakt zu bringen.
  • Orte brauchen eine „inklusive Qualität“ (Peter Siller): Sie müssen ihrem Zweck gut entsprechen (Qualität) und möglichst breit zugänglich sein. Dafür muss man sich der jeweils spezifischen Hürden jedes Ortes bewusstwerden und diese nach Möglichkeit abbauen.

So schaffen wir als Gesellschaft neue Begegnungsorte, die ganz verschiedene Menschen miteinander in Kontakt bringen. Das stärkt mittelfristig die sozialen Grundlagen unserer Demokratie.

Text: Rainald Manthe

Ähnliche Artikel

 
02.10.2025
Treffpunkt Allzeitorte

Inga Gertmann: Begegnungswerkstatt

Im Workshop haben wir Erfahrungen zu gelungener Begegnung gesammelt und Ansätze aus Forschung und Praxis geteilt. Besonders bereichernd war die Vielfalt der Teilnehmenden: einige mit langjähriger Erfahrung, andere am Beginn ihrer Arbeit, einige mit konkreten Projekten, wie die Umgestaltung eines [...]

Mehr lesen
 
02.10.2025
Treffpunkt Allzeitorte

Sonkeng Tegouffo: Einkaufen tun alle. Mitbestimmen auch? Migrationsdiskurse inklusiver führen

Einleitung Sprache ist ein zentrales Werkzeug der menschlichen Kommunikation, das nicht nur Informationen übermittelt, sondern auch Emotionen und soziale Beziehungen beeinflusst. Mit dieser Macht geht eine große Verantwortung einher, da die Wortwahl unbewusst diskriminierend sein kann. Problemstellung Begriffe wie Asylant*in, [...]

Mehr lesen
 
02.10.2025
Treffpunkt Allzeitorte

Andreas Willisch, Jonas Fathy: Gute Praxis und Wirkungsanalyse

Menschen erkennen ihre Wirkungen täglich. Aber wenn es darum geht, sich mit anderen Menschen zu koordinieren, vielleicht auch Entscheidungen über Dinge zu treffen, die nicht in unserer direkten Wahrnehmung liegen – sprich: in Organisationen – dann, wird es wichtiger, Wirkungen [...]

Mehr lesen