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07.11.2024

Aktuelles, Demokratie, Landesverbände

Die Situation ist ernst

Von: Redaktion

Nach den Landtagswahlen in Sachsen: Kirstin Zinke, Geschäftsführerin des Landesverbands Soziokultur Sachsen e.V., im Gespräch

 

Redaktionsteam: Die Landtagswahlergebnisse in Sachsen – CDU 31,9, AfD 30,6, BSW 11,8, SPD 7,3 und Grüne 5,1 Prozent, FDP raus, Linke raus – kamen ja nicht überraschend. Schwer zu verdauen sind sie trotzdem.

Kirstin Zinke: Ja, uns stehen sehr ernste Zeiten bevor. Ich behaupte, die Änderungen, die sich gerade vor unseren Augen vollziehen, sind hoch ansteckend. Es geht hier in Sachsen nicht nur um einen schwierigen Landtag. Die AfD ist in vielen Kommunen überproportional vertreten, in Gremien teilweise mit über 50 Prozent. Gremien bereiten die Entscheidungen der Ausschüsse vor. Es geht jetzt schon um Streichlisten. Soziokulturelle Einrichtungen müssen mit Streichungen beziehungsweise massiven Kürzungen rechnen.

RT: Besonders für die schwach strukturierten ländlichen Räume ist das bitter.

KiZi: Sehr bitter. Inzwischen sind wir aber so weit, dass wir bald sagen müssen: Es wäre schön, wenn das nur die ländlichen Räume und kleinen Städte beträfe.

RT: Du bist selbst Mitglied im Kulturbeirat der Stadt Dresden.

KiZi: Eben. Da hatten wir gerade eine symptomatische Sitzung. Ich habe für mich mitgenommen, dass wir jetzt ein deutlich anderes kommunalpolitisches Miteinander haben. Wir, die Kulturschaffenden, müssen uns noch stärker vernetzen, austauschen und in kommunalpolitische Gremienarbeit einbringen.

Natürlich sind wir sehr angespannt. Aber wir sind auch hoch motiviert und tun, was wir tun können, um der sächsischen Soziokultur Gehör und Berücksichtigung zu verschaffen.

 

RT: Wovon sind eure Mitgliedseinrichtungen im Moment konkret betroffen?

KiZi: Außer den sich häufenden Anwürfen und Angriffen aus der rechtsextremen Ecke? Existenziell besonders schmerzhaft von der Finanzsituation. Wir werden vermutlich erst im August nächsten Jahres über beschlossene Haushalte verfügen. Bis dahin gibt es Abschläge. Wir setzen gegenwärtig alles daran, wenigstens die Gelder des 2024er Haushalts zu bekommen. In der freien Szene werden 2025 viele ein halbes Jahr lang ohne Geld auskommen müssen.

RT: In vielen Kommunen sind die Personalkosten stark angestiegen. Deshalb gibt es den Deckel auf der Soziokultur und der freien Szene. Und das in einer Situation, in der die soziokulturellen Einrichtungen wie alle anderen auch zusätzliche Mittel für die Inflation, die gestiegenen Energiepreise und Tarife aufbringen müssen. Auf der Bundesebene sollen wir als Erfolg verstehen, wenn die Förderhöhe „auf dem Niveau von 2023 stabilisiert“ wird. Wir hoffen sehr, dass im Kontext des Nachtragshaushalts noch etwas gelingt.

KiZi: Verglichen mit anderen Teilhaushalten sind die Kulturhaushalte sowieso bescheiden. Den größten Anteil des Budgets fressen Theater und Orchester auf. Die Kulturfinanzierung ist nicht ausgewogen. Der Soziokultur droht eine Insolvenz- und Entlassungswelle. Wir wissen nicht, wie viele Einrichtungen den Gang durch die Wüste überleben werden.

RT: Das bedeutet Strukturverluste, die eben nicht im nächsten besseren Haushaltsjahr wieder ausgeglichen werden können.

KiZi: Das ist das Problem. Strukturverlust hört sich erst mal abstrakt an. Wir haben die Wahlergebnisse, die wir haben, weil in der Gesellschaft Veränderungen vonstattengegangen sind. Jetzt werden die Akteur*innen finanziell bedroht, die unmittelbar vor Ort an den kulturellen Grundlagen der Demokratie arbeiten …

RT: … und das mit einer großen sozialen Reichweite.

KiZi: Wenn es zum Beispiel die Hillersche Villa in Zittau nicht schafft, ihr umfangreiches Portfolio für das Gemeinwesen weiter auf hohem Niveau anzubieten, dann gibt es dort keine Ukraine-Hilfe und keine offene Kinder- und Jugendarbeit in den etablierten Strukturen mehr.

RT: Wie wirkt sich die bedrohliche Lage auf die Stimmung in eurem Landesverband aus?

KiZi: Natürlich sind wir sehr angespannt. Aber wir sind auch hoch motiviert und tun, was wir tun können, um der sächsischen Soziokultur Gehör und Berücksichtigung zu verschaffen.

RT: Gerade wenn die Existenzgrundlage von soziokulturellen Einrichtungen gefährdet ist, kommt es ja darauf an, dass die Akteur*innen möglichst stabile Kontakte zur Kommunalpolitik, zu Behörden und Verwaltungen pflegen. Wir treffen aber immer wieder auf Einrichtungen, die sich ausschließlich auf ihre eigene Arbeit konzentrieren und sich keine Zeit dafür nehmen. Manche wissen gar nicht, wer bei ihnen überhaupt im Stadt- oder Gemeinderat sitzt. Wie sieht das bei euch aus?

KiZi: Gemischt. Bei einigen unserer Mitglieder funktioniert die Kommunikation in den Raum von Politik und Verwaltung sehr gut, bei anderen nicht so. Und es ist ja nicht nur so, dass manche Akteur*innen der Soziokultur sich nicht genügend um die lokale Politik kümmern. Viele Politiker*innen haben auch kaum Kenntnis, was Soziokultur überhaupt ist. Das wollen und müssen wir ändern. In den nächsten Wochen werden wir sozusagen Klinken putzen. Wir gehen in jeden Kreistag rein, wenden uns gemeinsam mit den Zentren vor Ort noch mal an alle Landtags- und Bundestagsabgeordneten, nicht belehrend, sondern erhellend wollen wir das Thema Soziokultur und ihre Bedeutung für ein gelingendes Gemeinwesen besprechen.

RT: In den Gründerjahren der Soziokultur haben viele der ersten Akteur*innen nicht selten zum Beispiel Arbeitslosengeld genutzt, um ihr Leben und ihr Engagement zu finanzieren. Denkst du, dass das wieder geschieht, wenn es hart auf hart kommt?

KiZi: Nein. Die Situationen sind nicht zu vergleichen. Damals, in den frühen 1990-ern nach der politischen Wende und durchaus im Zuge von Willy Brandts „mehr Demokratie wagen“ ging es darum, Strukturen und Räume zu schaffen, in denen sich progressive Ideen vom Leben miteinander und von Gesellschaftsgestaltung verwirklichen ließen. Jetzt sind sie als funktionierende Strukturen da. Es hat eine durchgreifende Professionalisierung stattgefunden. Wir erwarten von unseren Mitarbeitenden, dass sie hoch qualifiziert sind, um die gesellschaftlich notwendige soziokulturelle Arbeit erfolgreich leisten zu können. Das sind sie jetzt. Und das muss sich nach über 30 Jahren soziokulturellem Schaffen auch in einer angemessenen Vergütung widerspiegeln. Verschwinden Einrichtungen der Soziokultur, werden ihre Beschäftigten anderswo auf dem Arbeitsmarkt gern genommen. Dann sind sie weg. Dann fehlen sie uns, der Zivilgesellschaft – vor allem in ländlichen Räumen. Und das wiederum hat Langzeitfolgen für die kulturellen und demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft, auf die wir es besser nicht ankommen lassen sollten.

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Redaktionsteam: Laura Armborst, Ute Fürstenberg, Georg Halupczok, Matti Kunstek, Carsten Nolte, Dr. Edda Rydzy, Margret Staal

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