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25.02.2023

#ENERGIE, Gespräch, Magazin SOZIOkultur, Nachhaltigkeit

Handeln – die notwendige Perspektive

Thomas Hartmann, Geschäftsführer der Stadtkultur Bremen, und Franziska Mohaupt, Referentin für Nachhaltigkeit beim Bundesverband Soziokultur, sprechen über soziokulturelle Wege aus der Klimakrise und über die positive soziale Energie, die dafür gebraucht und gewonnen wird.

Thomas  Hallo Franziska. Du bist ja seit dem Sommer 2021 unsere Nachhaltigkeitsreferentin beim Bundesverband Soziokultur. Was hast du denn davor gemacht?

Franziska  Ich war am Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung und habe mich dort mit Nachhaltigkeitsfragen befasst.

Thomas  Das hört sich ja eher theoretisch an.

Franziska  Ja, meine Forschungsprojekte endeten häufig mit Handlungsempfehlungen. Das ist gut und wichtig, aber mir hat das nicht mehr gereicht. Ich wollte das Thema lieber in der Praxis angehen. Ich möchte Organisationen bei ihren Transformationsprozessen unterstützen und begleiten. Also mit ganz konkreten Änderungen in den tatsächlichen Arbeitsabläufen und dazu auf Bundesebene in unserer AG Nachhaltigkeit. Das motiviert mich.

Thomas  Das war wirklich eine sehr gute Entscheidung des Bundesverbands, eine Stelle für Nachhaltigkeit zu schaffen …

Franziska  … Ja, aber das war ja nicht so, dass das ein neues Thema für die Soziokultur war. Ich konnte auf Vielem aufbauen. Es gab wichtige Projekte wie „Jetzt in Zukunft“, das sich bereits systematisch mit Nachhaltigkeit auseinandergesetzt hat. Es gibt viele Initiativen und engagierte Akteur*innen, den gemeinsamen Willen, etwas zu stemmen. Diese Haltung ist ein großer Pluspunkt – ich muss niemanden überzeugen, dass Nachhaltigkeit wichtig ist. Weniger präsent sind Instrumente und Strukturen, um Nachhaltigkeit systematisch in einer Organisation zu verankern. Damit meine ich so was wie Handlungsfelder, Indikatoren und Bilanzierung. Außerdem treibt mich um, dass der Handlungsspielraum in vielen Einrichtungen so klein ist. Dabei gibt es dicke Bretter zu bohren: Mehr als neun von zehn Einrichtungen heizen mit fossilen Brennstoffen, die allermeisten mit Gas. Viele würden gerne energetisch sanieren und mit erneuerbaren Energien heizen. Das sind große Investitionen für Eigentümer. Und Mieter*innen müssen erst einmal die Eigentümer überzeugen.

Thomas  Ja, das stimmt, aber es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir können nicht hoffen, dass es schon nicht so schlimm wird. Die Veränderungen sind in vollem Gange: Allein, das Klimakrisezu nennen, ist ein Euphemismus. Oder wie die Direktorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts Antje Boetius bei unserer Bremer Green-Culture-Tagung im September sagte: „Es geht schlicht ums Überleben!“

Franziska  Ja, klar: Ich finde es wichtig, was zu tun. Auch gegen dieses Gefühl der Ohnmacht. Aber es gibt ja durchaus auch eine gute Entwicklung. Als ich Mitte der neunziger Jahre Umwelttechnik zu studieren begann, war das noch etwas sehr Besonderes. Inzwischen hat sich die Anzahl von Studiengängen, die auf Umwelt und Nachhaltigkeit zielen, vervielfacht. Und wir haben ein Ministerium, das Wirtschaft und Energiewende zusammendenkt. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat uns überdeutlich vor Augen geführt, dass die aktuelle Wirtschaftsweise nicht funktioniert. Diese Erkenntnis kommt inzwischen auch bei Konservativen an. Die Energiewende und die radikale Dekarbonisierung der Produktion sind eben alternativlos.

Thomas  … Und dann werden die AKW-Laufzeiten verlängert, 100 Milliarden in die Aufrüstung gesteckt und unser grüner Umweltminister fliegt nach Katar wegen Flüssigerdgas. Über den Weltklimagipfel und das 1,5-Grad-Ziel will ich gar nicht erst reden …

Franziska  … Es gibt Momente, in denen ich mich tatsächlich am liebsten mit der Letzten Generation auf die Straße kleben möchte.

Die Frage ist nicht, ob, sondern wie wir auf den Klimawandel reagieren: Und hier spielt das Soziale eine der wichtigsten Rollen.

Thomas  Also, wenn du meinst. Mir wäre das zu masochistisch. Aber klar: Klima-Protest ist wichtig! Wenn ich daran denke, wie neulich eine Protestaktion für den Tod einer Berlinerin verantwortlich gemacht werden sollte, die mit dem Fahrrad unterwegs war und von einem LKW überfahren wurde, zeigt das doch sehr deutlich, wo unser Land politisch-gesellschaftlich steht. Hinsichtlich unserer Strukturen ist jedoch ein anderer Diskurs entscheidender: In der letzten Zeit habe ich in kulturpolitischen Diskussionen sowohl auf Bundes-, aber auch auf Landesebene immer wieder registriert, dass die ökologische Dimension von Nachhaltigkeit mit dem Hinweis auf die besondere Bedeutung des Sozialen oder der Existenzsicherung unserer Einrichtungen nach hinten geschoben wird. Klimaschutz und soziale Nachhaltigkeit werden so nicht nur gegeneinander ausgespielt. Vielmehr wird der Klimawandel so letztlich relativiert. Er findet aber statt. Die Frage ist also nicht, ob, sondern wie wir reagieren: Und hier spielt das Soziale natürlich eine der wichtigsten Rollen. Das sollte doch aus soziokultureller Sicht eh klar sein!

Franziska  So ist es. Dennoch ist Nachhaltigkeit angesichts der Tatsache, dass die Soziokultur prekär aufgestellt ist, tatsächlich ein hoher Anspruch. Prekär heißt ja nicht nur kein Geld, das heißt auch und vor allem, dass es an personellen Ressourcen fehlt. Fast alle sind permanent überlastet. Und die sollen jetzt auch noch Nachhaltigkeitsthemen managen? Ja! Weil es keine Alternative zu dieser Entwicklung gibt. Und im Kern ist nachhaltiges Organisationshandeln nicht unbedingt mit mehr Arbeit verbunden. Es geht darum, anders zu arbeiten.

Thomas  Das hört sich gut an. Und wie funktioniert das?

Franziska  Ein Beispiel: Vor einigen Wochen haben Hanne Bangert und ich einen Workshop zum Thema Nachhaltigkeit in Niedersachsen vorbereitet. Da stand genau das im Raum: Unsere Hebel sind ziemlich klein. Wo sollen wir die Reserven zum Umsteuern hernehmen? Wir haben den Workshop dann durchgeführt. In vier Stunden kamen mehr als dreißig Maßnahmen zusammen, die sich ohne unerträglichen Mehraufwand realisieren lassen. Damit ist der Anfang gemacht.

Thomas  Uns bleibt ja auch nichts anderes übrig, als überall und konkret mit unseren kleinen Hebeln und unseren Handlungen an den Dingen anzusetzen, die wir direkt beeinflussen können. Ist das getan, können wir uns den komplexeren Themen zuwenden und neue Verbindungen eingehen.

Franziska  Du hattest mal erwähnt, dass du das früher anders gesehen hast.

Thomas  Ja, ich habe mich in meinem Philosophie-, Soziologie- und Politikstudium vor allem mit Fragen emanzipatorischer Politik und Praxis beschäftigt. Allerdings kannte ich da Bruno Latour noch nicht. Durch die Beschäftigung mit seinem Handlungs- und Praxisbegriff haben sich bei mir frühere Positionen verändert. Latour geht von der Komplexität, Diversität und Heterogenität jeder Handlung aus und bestimmt Handeln als einen Knoten, ein Konglomerat aus vielen überraschenden Handlungsquellen: Deshalb der komische Ausdruck „Akteur-Netzwerk-Theorie“ (ANT). Handeln sei nicht lokal(isierbar), sondern stets verlagert, verschoben, dislokal, und ein Akteur sei nicht der Ursprung einer Handlung, sondern das bewegliche Ziel eines riesigen Aufgebots von Entitäten, die zu ihm hinströmen. Die Handlungstheorie der ANT definiert Latour entsprechend als: jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun. Aber kommen wir doch wieder auf unseren konkreten Weg zur Nachhaltigkeit in der Soziokultur zurück: Wie kann dieser gelingen?

Die grundlegendste Bedingung besteht darin, sich überhaupt ernsthaft auf das Thema einzulassen.

Franziska  Zusammengefasst vielleicht so: Die grundlegendste Bedingung besteht darin, sich überhaupt ernsthaft auf das Thema einzulassen. Diese bewusste Entscheidung, verknüpft mit einem Workshop, der alle einbezieht und wo gemeinsam erste Schritte gegangen werden, ist der Startschuss für einen Prozess, der eigentlich niemals aufhört. Dabei mit offenen Augen und ohne Angst vor möglichen Fehlern systematisch entlang von Handlungsfeldern wie etwa Beschaffung, Energie und Gebäude die eigenen Arbeitsabläufe zu untersuchen und zu prüfen, wie sie geändert werden können, um weniger Ressourcen zu verbrauchen. Aus dieser systematischen Betrachtung gilt es, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln. Aus der täglichen Abarbeitung dieses Konzepts, wie klein die einzelnen Schritte auch sein mögen, ergibt sich die Erfahrung der Machbarkeit. Aus kleinen Erfolgen entsteht positive Energie für die nächsten Schritte. Ihr hattet in Bremen ja auch Erfolg mit der Beantragung der Koordinierungsstelle Klimaschutz.

Thomas  Ja, wir haben inzwischen die Koordinierungsstelle beantragt, aber genehmigt ist die noch nicht. Hintergrund ist die Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten im kommunalen Umfeld, die Kommunalrichtlinie. Die Koordinierungsstelle soll unseren Mitgliedseinrichtungen zur Ansprache und Informationsvermittlung hinsichtlich der Möglichkeiten zur Reduktion von Treibhausgasemissionen zur Verfügung stehen. Sie soll bei der Initiierung und Durchführung von treibhausgasmindernden Maßnahmen begleiten und Finanzierungsmöglichkeiten entwickeln. Sie soll regionale fachliche Ansprechpartner*innen für die Umsetzung von Klimaschutzprojekten vermitteln. Der Bund zahlt 70 Prozent und das Land will den Rest übernehmen. Von solchen gemeinsamen Initiativen können unsere Kolleg*innen in anderen Bundesländern nur träumen.

Franziska  Ist dies möglich, weil Bremen so überschaubar ist, die Wege so kurz sind?

Thomas  Dass sich in Bremen die Akteur*innen alle kennen, ist natürlich von großem Vorteil. Deshalb passiert in Bremen auch sehr viel. Hinsichtlich des Klimaschutzes dürften jedoch die Klimaschutzziele des Bremer Senats entscheidend sein. Diese sehen für den Kulturbereich ein CO2-Reduktionsziel von 60 Prozent bis 2030 gegenüber 1990 und von 95 Prozent zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2038 vor. Allerdings sind unsere 41 Einrichtungen keineswegs alle in Jubelschreie über das Angebot bezüglich der Koordinierungsstelle ausgebrochen. Das Angebot wurde zunächst sehr kritisch geprüft.

Franziska  Anfang November 2022 haben der Bund und die Länder sich darauf verständigt, den Härtefonds für Kultureinrichtungen in Höhe von einer Milliarde Euro aufzulegen. Zur Deckung der Mehrkosten für Energie (siehe: www.kulturfonds-energie.de). Das macht Mut. Dass er so notwendig ist, zeigt aber auch, wie vulnerabel Kultureinrichtungen aufgrund des Sanierungsstaus sind. Mich ärgert das. Denn Sanierungen auf die lange Bank zu schieben verhindert die Resilienz von Kultureinrichtungen; sie bleiben abhängig. Ein Fonds, der nur auf die Schließung der Energiekostenlücke zielt, greift viel zu kurz!

Kultureinrichtungen brauchen Investitionen in Nachhaltigkeit, damit sie resilienter werden. Das sind nicht nur Wärmedämmung und Fahrradständer, sondern auch Investitionen in die Menschen. 

Thomas  Ich stimme dir zu. Aber natürlich müssen die Häuser auch gut über den Winter kommen.

Franziska  Und dann? Wir haben keine Zeit, uns auf solch reaktiven Maßnahmen auszuruhen! An diesem Beispiel lässt sich doch sehr gut verdeutlichen, wohin die Reise gehen muss: Kultureinrichtungen brauchen Investitionen in Nachhaltigkeit, damit sie resilienter werden. Das sind nicht nur Wärmedämmung und Fahrradständer, sondern auch Investitionen in die Menschen. Die Soziokultur befindet sich mitten in einem Generationenwechsel. Die neue Generation möchte und kann sich nicht in dem Maße ausbeuten, wie es die Gründer*innen getan haben. Faire Bezahlung und langfristige Perspektiven sind so wichtig.

Thomas  Faire Bezahlung ist ja nicht nur bei uns in Bremen ein riesiges Thema im Kulturbereich – vor allem in der freien Szene. Erstaunlich ist, dass wir noch keine gemeinsame, tragfähige Strategie und Perspektive entwickelt haben. Wie stellt sich das für dich aus Bundesperspektive dar?

Franziska  Die Soziokultur ist eine wichtige Vermittlerin der sozial-ökologischen Transformation. Sie erreicht eine enorme Bandbreite in der Gesellschaft. In der Vermittlerrolle liegt ein Potenzial, das zu wenig anerkannt ist. Das muss sich ändern und hier müssen wir – und damit meine ich auch den Bundesverband – selbstbewusster eine fi- nanzielle Ausstattung für die Soziokultur fordern, die gute Arbeit und gute Arbeitsbedingungen ermöglicht.

Dieses Gespräch ist erschienen in der SOZIOkultur 1/2023 Energie

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