Nach den Landtagswahlen in Brandenburg: Carsten F. Hiller, Geschäftsführer von ImPuls Brandenburg e.V., im Gespräch
Redaktionsteam: Verglichen mit Thüringen und Sachsen verlaufen die Sondierungs- und Koalitionsgespräche bei euch weitgehend geräuschlos. Macht das Hoffnung?
Carsten F. Hiller: Vor allem hoffe ich, dass die SPD ihren 1,5-Prozent-Vorsprung vor der AfD nicht als Wahlsieg versteht. Die Grünen und die Linken sind deshalb raus. Die SPD ist von vielen nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst vor der AfD gewählt worden. Jetzt muss sie ihre Verantwortung wahrnehmen.
RT: Der Generalsekretär der SPD spricht dieser Tage von einer Taskforce Bürokratieabbau.
CFH: Daran liegt uns sehr. Wir leiden seit Jahren unter dem bürokratischen Aufwand, mit dem besonders die Projektförderung verbunden ist. Wir hoffen, dass die Verbände bei diesem Vorhaben mitgenommen werden.
RT: In Brandenburg gibt es 13 freie Kulturverbände, die sich zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen haben. Derzeit bist du ihr Sprecher.
CFH: Stimmt. Gemeinsam mit Frau Dr. Friederike Frach vom Literaturrat Brandenburg. Und allen freien Kulturverbänden ist folgendes gleich: Wir bekommen keine institutionelle Förderung. Sobald zum Beispiel die AfD kommt und die Projektförderung streicht, ist sofort Pumpe.
RT: Du hast dich schon mehrfach dafür ausgesprochen, die argumentative Auseinandersetzung mit der AfD offensiv zu führen und würdest sie im Unterschied zu deinem Landesvorstand gegebenenfalls auch einladen.
CFH: Richtig, diese Auseinandersetzung scheue ich nicht. Im Augenblick sehe ich die größere Herausforderung darin, mit der SPD und dem BSW darüber ins Gespräch zu kommen, dass mit Blick auf den Kulturbereich vor allem die Soziokultur der Schlüssel zu einer demokratischen Gesellschaft ist, und dass die Mittel, die der Landeshaushalt bislang für sie bereitstellte, hinten und vorne nicht genügen, um ihre Chancen in der Realität zu nutzen.
RT: Was das BSW in seinem Brandenburger Wahlprogramm über Soziokultur sagt, können wir unterschreiben. Das sieht doch schon mal gut aus.
CFH: Ja, aber es geht ja nicht nur um gute und richtige Texte. Es geht darum, dass wir eine Änderung der Förderpraxis brauchen. Bis jetzt geht der Löwenanteil der Landesförderung in die sogenannte Hochkultur. Die erreicht aber immer weniger Menschen.
Die Situation spitzt sich zu. Umso dringender sind grundsätzliche Lösungen.
RT: Wir haben uns das mal angesehen. Eine ganze Weile hat man dort häufig von "pandemiebezogenem Publikumsschwund" gesprochen. Das scheint aber die reale Situation nicht zu treffen. Es geht hier um Prozesse, die schon länger andauern. Außerdem stellt sich auch aus Gründen der Steuer- und Fördergerechtigkeit die Frage nach der Zusammensetzung des "Hochkultur"-Publikums. Eine Studie zeigt: Das Publikum von Theatern und Opern ist zu etwa drei Vierteln älter als 50 und es sind, sofern nicht gut situierte Rentner*innen, weit überwiegend Angestellte und Beamt*innen, die Hälfte davon in leitenden Positionen. Außerdem werden hier mit den Tickets nur zirka 18 Prozent der tatsächlichen Aufführungskosten gezahlt. [1] In klassischen Konzerten unterscheidet sich die Situation nicht wesentlich.
CFH: Die Politik muss endlich darauf reagieren, dass mittels "Hochkultur" selbst die Funktions- und Bildungseliten der Gesellschaft nur noch abnehmend erreicht werden. Sie überzeugt nicht einmal Konservative. Wir brauchen dringend kulturgeprägte Orte, an denen sich der Querschnitt der tatsächlichen Gesellschaft trifft und miteinander redet. Soziokultur eben. Die politische Karte Brandenburgs nach den letzten Kommunal- und Landtagswahlen zeigt das erschreckend. Der gesamte Nordwesten und der gesamte Südosten des Landes sind tiefblau. Wo die AfD mächtig ist, beginnt sie schon, soziokulturelle Einrichtungen infrage zu stellen. Es ist höchste Zeit, dass Entscheidungsträgerinnen und -träger dem entgegenwirken. Wenn sie's jetzt nicht verstehen, bin ich ratlos.
RT: Für euch liegen in der Landeskulturpolitik mehrere Dinge im Argen.
CFH: Tatsächlich weiß ich kaum, wo ich da anfangen soll. Anfang des Jahres hat die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur unsere Bedarfe abgefragt. Gekommen ist dann nur ein Bruchteil. Geänderte Rahmenbedingungen wie Inflation oder Energiepreisanstieg hatten nur vorübergehend und dann sehr geringen Einfluss auf unsere Fördersumme. In der aktuellen kulturpolitischen Strategie des Ministeriums taucht das Wort Soziokultur nicht einmal auf. Die Angestellten unseres Landesverbands beziehen inzwischen seit fünf Jahren das gleiche Gehalt. Selbst der Landesmusikrat arbeitet noch nach dem Tarif von vor fünf Jahren. Bisher hatten wir durch überrollende Etats Sicherheit für ein Jahr. Jetzt endet unsere Sicherheit vorerst am 30.06.2025.
RT: Da die Koalitionsverhandlungen andauern werden, könnt ihr in diesem Jahr kaum noch mit dem Haushalt für 2025 rechnen. Dieser Tage kam auch noch eine Meldung, dass die Gewinne der landeseigenen Betriebe deutlich rückläufig sind und zu Mindereinnahmen führen.
CFH: Die Situation spitzt sich zu. Umso dringender sind grundsätzliche Lösungen. Die Kulturförderpolitik in Brandenburg ist insgesamt total intransparent. Aber sprechen wir das an, bekommen wir zur Antwort, das sei so gewachsen.
Ich denke nicht, dass wir einfach so fortfahren können. Die Förderung muss sich nach dem richten, was die Leute wirklich wollen und vor allem nach der gesellschaftlichen Relevanz.
Das Geld muss verstärkt dahin, wo die jungen Leute sind.
RT: Hat Brandenburg nicht einen Innovationsfonds für Soziokultur aufgelegt?
CFH: Das stimmt. In Höhe von 50 000 Euro. Das ist, sorry, vor dem Hintergrund des Titels, fast schon lächerlich. Das Antragsvolumen war viermal so hoch. Außerdem hat das Ministerium den Verwaltungsaufwand, der beträchtlich ist, an unseren Landesverband weitergereicht. Entscheidenden Einfluss auf die Antragsentscheidungen hat es uns aber nicht eingeräumt.
RT: Unterm Strich leistet ihr also unbezahlte Arbeit für das Ministerium.
CFH: Na ja, es wird schon bezahlt, aber klaut uns durch den hohen bürokratischen Aufwand sehr viel Zeit, die wir lieber in die inhaltliche Arbeit stecken würden. Dieser Aufwand ist letztlich nur sinnvoll, wenn wir als Letztentscheider diesen Fonds zumindest als gestalterisches Element nutzen könnten. Gleichzeitigt lässt sich aus der "Kulturpolitischen Strategie" des Landes überhaupt kein Stellenwert der Soziokultur ablesen. Das Papier wurde jahrelang diskutiert und ist im Sommer herausgekommen. Das Wort "Soziokultur" gibt es darin nicht, "Festival" wird einmal erwähnt und mit null Euro gefördert. Dabei wirbt das Land mit unseren vielen Festivals. In der letzten Koalitionsvereinbarung wurde sogar vom „Festivalland Brandenburg“ gesprochen.
RT: Wirken sich die jüngsten Wahlergebnisse eigentlich auf eure inhaltliche Aufstellung aus?
CFH: Das sollten sie unbedingt. Wir sehen die Erfolge der AfD und wir wissen, dass die AfD mehr als jede andere eine Partei der jungen Leute geworden ist. Unsere Szene ist vielleicht an manchen Stellen ein bisschen dogmatisch geworden. Die Band Böhse Onkelz zum Beispiel ist nicht rechtsextrem. Aber könnte sie bei der Soziokultur spielen? Gleiche Frage bei der Lausitzer Band Goitzsche Front. Auch Gothic und Dark Metal finden oft nicht bei uns statt.
RT: Es scheint in mehreren Landesverbänden ein Problem zu sein, dass wir vielleicht den Anschluss an die kulturellen Ausdrucksmuster junger Leute verlieren.
CFH: In der Offenheit für neue Trends sehe ich eine wichtige Aufgabe für uns. Und es geht nicht nur darum, dass wir uns dem stellen. Wie wir vorhin festgestellt haben, geht der Hauptteil der Landeskulturförderung an hochaltrige Publikumsgruppen. Das Geld muss verstärkt dahin, wo die jungen Leute sind.
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Redaktionsteam: Laura Armborst, Ute Fürstenberg, Georg Halupczok, Matti Kunstek, Carsten Nolte, Dr. Edda Rydzy, Margret Staal