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20.11.2024

Aktuelles, Demokratie, Landesverbände

Schwebezustand

Nach den Landtagswahlen in Thüringen: Bettina Rößger, Geschäftsführerin der LAG Soziokultur Thüringen e.V., im Gespräch

 

Redaktionsteam: Die Thüringer Landtagswahlen liegen nun Wochen zurück. Bislang klären sich die Konturen für eure künftigen Rahmenbedingungen noch nicht.

Bettina Rößger: Einerseits trifft das zu. Erst nächste Woche soll das Koalitionspapier von CDU, BSW und SPD auf dem Tisch liegen. Dem müssten dann noch die einzelnen Parteigremien zustimmen. Wie es jetzt aussieht, möchte sich Mario Voigt, der Fraktions- und Landesvorsitzende der CDU, in der letzten Plenarsitzung des Landtages zum Ministerpräsidenten wählen lassen.

RT: Und andererseits?

BR: Die derzeit noch geschäftsführende Regierung hat – unter den Vorbehalten der tatsächlichen Steuereinnahmen und der Schuldenbremse – für das nächste Jahr einen Haushaltsentwurf vorgelegt. Der sieht empfindliche Kürzungen für die Soziokultur und die gesamte freie Kulturszene vor.

 

Gerade im Kulturbereich wird alles dreimal angeguckt werden, ob es noch förderwürdig ist.

 

RT: Ihr hattet ja vor den Landtagswahlen unter anderem die Fortführung der Strukturförderung Soziokultur, die konzeptionelle Entwicklung der Förderung kultureller Knotenpunkte und die Wiedereinrichtung eines Haushaltstitels Soziokultur gefordert. Rechnet ihr damit, dass das dann in der neuen Regierung irgendeinen Widerhall findet?

BR: Das lässt sich jetzt unmöglich sagen. Es kann sein, dass das neue Kabinett die Ressortzuschnitte deutlich verändert und wir es mit einem völlig neuen Haushalt zu tun bekommen. Sowieso ist damit voraussichtlich erst Mitte nächsten Jahres zu rechnen. Nach dem Wenigen zu urteilen, was über die Regierungsbildung nach außen dringt, wird sie eher konservativ ausgerichtet sein. Gerade im Kulturbereich wird alles dreimal angeguckt werden, ob es noch förderwürdig ist.

RT: In Anbetracht der Stärke der AfD in Thüringen hört sich "eher konservativ" fast wie das kleinere Übel an.

BR: Nicht nur fast. In den neu gebildeten Landtagsausschüssen haben wir eine Dominanz von AfD-Vertreter*innen. Im Ausschuss für Europa und Kultur zum Beispiel hat das BSW den Vorsitz, die AfD die Stellvertretung. Es gibt schon einen AfD-Antrag zu einer grundlegenden Rundfunkreform. Damit setzen sie eins zu eins ihr Wahlprogramm um. Die Staatsverträge der öffentlich-rechtlichen Sender sollen gekündigt und die Beiträge abgeschafft werden.

RT: Wie spürt ihr die Auseinandersetzung mit rechts vor Ort?

BR: Deutlich, sie gehört inzwischen zum Alltag. Am 9. November wurde zum Beispiel die gesamte Innenstadt von Hildburghausen – eine Hochburg der Rechten – mit rechtsextremen Symbolen zugeklebt, die Geschäfte, das Rathaus, Gedenktafeln, das Linksbüro. Ihr habt ja vor einer Weile einmal die Other Music Academy in Weimar im Magazin porträtiert. Auch sie müssen für ihr Yiddish-Summer-Festival, wo es um traditionelle und zeitgenössische jiddische Kultur geht, bereits seit einigen Jahren Schutzvorkehrungen treffen. Zum Glück gibt es viele Aktive, die sich gegen die Rechtsauswüchse stellen. Die meisten Mitgliedseinrichtungen gehen damit als pragmatische Herausforderung um. Einiges lässt sich zum Beispiel mit dem Hausrecht regeln.

RT: Schlägt sich die aktuelle Situation sehr auf die Stimmung in euren Mitgliedseinrichtungen nieder?

BR: Was heißt sehr? Sicher drückt das alles auf die Stimmung, aber nicht so, dass die Aktiven ihren Elan und ihre Zuversicht verlieren würden. Und bislang gab es keine Hiobsbotschaften, die uns bekannt geworden sind. Die meisten unserer mehr als 90 Mitgliedseinrichtungen arbeiten ehrenamtlich und erhalten kaum oder nur wenig öffentliche Förderung. Sarkastisch ausgedrückt kann man sagen: Dass es ihnen seit Jahren finanziell eher schlecht geht, ist jetzt ein Vorteil. Sie sind unabhängig.
Es gibt also noch keine totale Verzweiflung, sondern die Bereitschaft, mit den Umständen, mit denen man es dann zu tun haben wird, irgendwie umzugehen.

RT: Gibt es bei euren Mitgliedern schon erkennbar mehr Insolvenzen?

BR: Bis jetzt noch nicht direkt. Es gibt einen Kostendruck, sicher, der hat aber auch mit anderen als den politischen Aspekten zu tun.

RT: Der Kostendruck, den wir auch als Bundesverband spüren, rührt ja vor allem von Tarifsteigerungen und Personalkosten, von Inflation und gestiegenen Energiepreisen her. Berücksichtigen das die Kommunen, die in Thüringen überhaupt Soziokultur fördern?

BR: Das ist sehr unterschiedlich. Der Entwurf zum Erfurter Haushalt zum Beispiel sieht für die Soziokultur gut aus. In Jena zeigt sich das Bild ganz anders. Die Szene protestiert, da trotz eines erheblich höheren Bedarfs gegenüber den Vorjahren kein adäquater Aufwuchs der Förderung in Aussicht steht.

RT: Nach menschlichem Ermessen müssten doch gerade jetzt die demokratischen politischen Kräfte alles tun, um so viel soziokulturelles Leben wie möglich zu sichern.

BR: Das haben einige nur bedingt, andere noch gar nicht begriffen.

RT: Was könnt ihr auf der Haben-Seite verbuchen?

BR: Vor allem, dass der Landesverband Soziokultur nach dreißig Jahren endlich institutionell gefördert wird. Dadurch ist immerhin unsere Landesgeschäftsstelle arbeitsfähig und kann Unterstützung geben. Wir sind glücklich, dass wir unseren Förderfonds FEUERWEHRTOPF fest verankern konnten. Auch können wir derzeit mit unserem Modellprojekt STRUKTURFÖRDERUNG SOZIOKULTUR 2023-2025 ein neues Förderinstrument erproben. Darüber hinaus ist es gelungen, dass 14 Mitglieder der LAG Soziokultur eine mehrjährige Förderung als kultureller Knotenpunkt erhalten.

RT: Wo seht ihr Defizite?

BR: Die Liste ist leider immer noch lang. Einiges liegt ja schon seit Jahren im Argen. Zum Beispiel wird bei kulturpolitischen Entscheidungen wenig Wert auf die Expertise der kulturellen Fachverbände und damit auch unser eigenes Arbeitsfeld gelegt. Die Kommunikation beispielsweise mit dem Ausschuss für Europa und Kultur war in der vergangenen Legislatur gleich Null. Wir haben nur zu einzelnen Mitgliedern Kontakt, wurden unter Rot-Rot-Grün zu keiner einzigen Anhörung eingeladen. Auf der Verwaltungsebene sieht es ähnlich aus. Die Personaldecke ist dort so dünn, dass für einen regelmäßigen Austausch keine Ressourcen da sind. Im zuständigen Fachreferat der Thüringer Staatskanzlei fehlt seit fast zwei Jahren ein*e für uns zuständige*r und feste*r Ansprechpartner*in. Solange es keine neue Regierung gibt, mag sich da natürlich auch niemand aus dem Fenster lehnen. Verwaltungsentscheidungen werden ja eigenständig getroffen und mögliche Ermessensspielräume werden enger

 

Bei kulturpolitischen Entscheidungen wird wenig Wert auf die Expertise der kulturellen Fachverbände gelegt.

 

RT: Das hört sich so an, als hätte es eine böse Logik, dass der im Moment vorliegende Haushalt aussieht, wie er aussieht.

BR: Leider. Im aktuellen Haushaltsentwurf sollen für die Projektförderung 800000 Euro weniger zur Verfügung stehen. Die Kürzungen treffen vor allem die Projektförderungen im freien und soziokulturellen Bereich. Aber auch alle anderen Sparten, von der bildenden Kunst bis zur Literatur, sind betroffen. Viele Zukunftsprojekte, Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und typisch soziokulturelle Teilhabeprojekte stehen in Frage. Manche werden wahrscheinlich gar nicht stattfinden können. Auch die kommenden Jahre scheinen eher düster, was sich in den deutlich eingekürzten Verpflichtungsermächtigungen widerspiegelt. Auch die Investitionsförderung im Kulturbereich soll zum zweiten Mal ebenfalls um 800000 Euro reduziert werden.

RT: Düstere Aussichten. Was unternehmt ihr als Verband dagegen?

BR: Wir haben sofort eine öffentliche Stellungnahme abgegeben. Darin machen wir deutlich, welche strukturellen Folgen der haushalterische Kahlschlag haben wird. Im Moment sind wir in Gesprächen mit der Kulturpolitik. Natürlich denken wir auch über gemeinsame öffentliche Aktionen nach. Denn auch die anderen von Kürzungen Betroffenen wehren sich und machen aufmerksam. Wir sind nicht allein.

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Redaktionsteam: Laura Armborst, Ute Fürstenberg, Georg Halupczok, Matti Kunstek, Carsten Nolte, Dr. Edda Rydzy, Margret Staal

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