standard-logo

Nach den Landtagswahlen in Thüringen: Bettina Rößger, Geschäftsführerin der LAG Soziokultur Thüringen e.V., im Gespräch

 

Redaktionsteam: Die Thüringer Landtagswahlen liegen nun Wochen zurück. Bislang klären sich die Konturen für eure künftigen Rahmenbedingungen noch nicht.

Bettina Rößger: Einerseits trifft das zu. Erst nächste Woche soll das Koalitionspapier von CDU, BSW und SPD auf dem Tisch liegen. Dem müssten dann noch die einzelnen Parteigremien zustimmen. Wie es jetzt aussieht, möchte sich Mario Voigt, der Fraktions- und Landesvorsitzende der CDU, in der letzten Plenarsitzung des Landtages zum Ministerpräsidenten wählen lassen.

RT: Und andererseits?

BR: Die derzeit noch geschäftsführende Regierung hat – unter den Vorbehalten der tatsächlichen Steuereinnahmen und der Schuldenbremse – für das nächste Jahr einen Haushaltsentwurf vorgelegt. Der sieht empfindliche Kürzungen für die Soziokultur und die gesamte freie Kulturszene vor.

 

Gerade im Kulturbereich wird alles dreimal angeguckt werden, ob es noch förderwürdig ist.

 

RT: Ihr hattet ja vor den Landtagswahlen unter anderem die Fortführung der Strukturförderung Soziokultur, die konzeptionelle Entwicklung der Förderung kultureller Knotenpunkte und die Wiedereinrichtung eines Haushaltstitels Soziokultur gefordert. Rechnet ihr damit, dass das dann in der neuen Regierung irgendeinen Widerhall findet?

BR: Das lässt sich jetzt unmöglich sagen. Es kann sein, dass das neue Kabinett die Ressortzuschnitte deutlich verändert und wir es mit einem völlig neuen Haushalt zu tun bekommen. Sowieso ist damit voraussichtlich erst Mitte nächsten Jahres zu rechnen. Nach dem Wenigen zu urteilen, was über die Regierungsbildung nach außen dringt, wird sie eher konservativ ausgerichtet sein. Gerade im Kulturbereich wird alles dreimal angeguckt werden, ob es noch förderwürdig ist.

RT: In Anbetracht der Stärke der AfD in Thüringen hört sich “eher konservativ” fast wie das kleinere Übel an.

BR: Nicht nur fast. In den neu gebildeten Landtagsausschüssen haben wir eine Dominanz von AfD-Vertreter*innen. Im Ausschuss für Europa und Kultur zum Beispiel hat das BSW den Vorsitz, die AfD die Stellvertretung. Es gibt schon einen AfD-Antrag zu einer grundlegenden Rundfunkreform. Damit setzen sie eins zu eins ihr Wahlprogramm um. Die Staatsverträge der öffentlich-rechtlichen Sender sollen gekündigt und die Beiträge abgeschafft werden.

RT: Wie spürt ihr die Auseinandersetzung mit rechts vor Ort?

BR: Deutlich, sie gehört inzwischen zum Alltag. Am 9. November wurde zum Beispiel die gesamte Innenstadt von Hildburghausen – eine Hochburg der Rechten – mit rechtsextremen Symbolen zugeklebt, die Geschäfte, das Rathaus, Gedenktafeln, das Linksbüro. Ihr habt ja vor einer Weile einmal die Other Music Academy in Weimar im Magazin porträtiert. Auch sie müssen für ihr Yiddish-Summer-Festival, wo es um traditionelle und zeitgenössische jiddische Kultur geht, bereits seit einigen Jahren Schutzvorkehrungen treffen. Zum Glück gibt es viele Aktive, die sich gegen die Rechtsauswüchse stellen. Die meisten Mitgliedseinrichtungen gehen damit als pragmatische Herausforderung um. Einiges lässt sich zum Beispiel mit dem Hausrecht regeln.

RT: Schlägt sich die aktuelle Situation sehr auf die Stimmung in euren Mitgliedseinrichtungen nieder?

BR: Was heißt sehr? Sicher drückt das alles auf die Stimmung, aber nicht so, dass die Aktiven ihren Elan und ihre Zuversicht verlieren würden. Und bislang gab es keine Hiobsbotschaften, die uns bekannt geworden sind. Die meisten unserer mehr als 90 Mitgliedseinrichtungen arbeiten ehrenamtlich und erhalten kaum oder nur wenig öffentliche Förderung. Sarkastisch ausgedrückt kann man sagen: Dass es ihnen seit Jahren finanziell eher schlecht geht, ist jetzt ein Vorteil. Sie sind unabhängig.
Es gibt also noch keine totale Verzweiflung, sondern die Bereitschaft, mit den Umständen, mit denen man es dann zu tun haben wird, irgendwie umzugehen.

RT: Gibt es bei euren Mitgliedern schon erkennbar mehr Insolvenzen?

BR: Bis jetzt noch nicht direkt. Es gibt einen Kostendruck, sicher, der hat aber auch mit anderen als den politischen Aspekten zu tun.

RT: Der Kostendruck, den wir auch als Bundesverband spüren, rührt ja vor allem von Tarifsteigerungen und Personalkosten, von Inflation und gestiegenen Energiepreisen her. Berücksichtigen das die Kommunen, die in Thüringen überhaupt Soziokultur fördern?

BR: Das ist sehr unterschiedlich. Der Entwurf zum Erfurter Haushalt zum Beispiel sieht für die Soziokultur gut aus. In Jena zeigt sich das Bild ganz anders. Die Szene protestiert, da trotz eines erheblich höheren Bedarfs gegenüber den Vorjahren kein adäquater Aufwuchs der Förderung in Aussicht steht.

RT: Nach menschlichem Ermessen müssten doch gerade jetzt die demokratischen politischen Kräfte alles tun, um so viel soziokulturelles Leben wie möglich zu sichern.

BR: Das haben einige nur bedingt, andere noch gar nicht begriffen.

RT: Was könnt ihr auf der Haben-Seite verbuchen?

BR: Vor allem, dass der Landesverband Soziokultur nach dreißig Jahren endlich institutionell gefördert wird. Dadurch ist immerhin unsere Landesgeschäftsstelle arbeitsfähig und kann Unterstützung geben. Wir sind glücklich, dass wir unseren Förderfonds FEUERWEHRTOPF fest verankern konnten. Auch können wir derzeit mit unserem Modellprojekt STRUKTURFÖRDERUNG SOZIOKULTUR 2023-2025 ein neues Förderinstrument erproben. Darüber hinaus ist es gelungen, dass 14 Mitglieder der LAG Soziokultur eine mehrjährige Förderung als kultureller Knotenpunkt erhalten.

RT: Wo seht ihr Defizite?

BR: Die Liste ist leider immer noch lang. Einiges liegt ja schon seit Jahren im Argen. Zum Beispiel wird bei kulturpolitischen Entscheidungen wenig Wert auf die Expertise der kulturellen Fachverbände und damit auch unser eigenes Arbeitsfeld gelegt. Die Kommunikation beispielsweise mit dem Ausschuss für Europa und Kultur war in der vergangenen Legislatur gleich Null. Wir haben nur zu einzelnen Mitgliedern Kontakt, wurden unter Rot-Rot-Grün zu keiner einzigen Anhörung eingeladen. Auf der Verwaltungsebene sieht es ähnlich aus. Die Personaldecke ist dort so dünn, dass für einen regelmäßigen Austausch keine Ressourcen da sind. Im zuständigen Fachreferat der Thüringer Staatskanzlei fehlt seit fast zwei Jahren ein*e für uns zuständige*r und feste*r Ansprechpartner*in. Solange es keine neue Regierung gibt, mag sich da natürlich auch niemand aus dem Fenster lehnen. Verwaltungsentscheidungen werden ja eigenständig getroffen und mögliche Ermessensspielräume werden enger

 

Bei kulturpolitischen Entscheidungen wird wenig Wert auf die Expertise der kulturellen Fachverbände gelegt.

 

RT: Das hört sich so an, als hätte es eine böse Logik, dass der im Moment vorliegende Haushalt aussieht, wie er aussieht.

BR: Leider. Im aktuellen Haushaltsentwurf sollen für die Projektförderung 800000 Euro weniger zur Verfügung stehen. Die Kürzungen treffen vor allem die Projektförderungen im freien und soziokulturellen Bereich. Aber auch alle anderen Sparten, von der bildenden Kunst bis zur Literatur, sind betroffen. Viele Zukunftsprojekte, Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen und typisch soziokulturelle Teilhabeprojekte stehen in Frage. Manche werden wahrscheinlich gar nicht stattfinden können. Auch die kommenden Jahre scheinen eher düster, was sich in den deutlich eingekürzten Verpflichtungsermächtigungen widerspiegelt. Auch die Investitionsförderung im Kulturbereich soll zum zweiten Mal ebenfalls um 800000 Euro reduziert werden.

RT: Düstere Aussichten. Was unternehmt ihr als Verband dagegen?

BR: Wir haben sofort eine öffentliche Stellungnahme abgegeben. Darin machen wir deutlich, welche strukturellen Folgen der haushalterische Kahlschlag haben wird. Im Moment sind wir in Gesprächen mit der Kulturpolitik. Natürlich denken wir auch über gemeinsame öffentliche Aktionen nach. Denn auch die anderen von Kürzungen Betroffenen wehren sich und machen aufmerksam. Wir sind nicht allein.

______________________________________

Redaktionsteam: Laura Armborst, Ute Fürstenberg, Georg Halupczok, Matti Kunstek, Carsten Nolte, Dr. Edda Rydzy, Margret Staal

Der Ilmenauer Verein Kulturelle Koordinierung e.V. (KuKo) wurde vom Landesverband Soziokultur Thüringen mit dem Titel „KULTURRIESE 2024“ ausgezeichnet. Mit dem KULTURRIESE zeichnet die LAG Soziokultur Thüringen seit 2008 jährlich Vereine, Organisationen oder Initiativen aus Thüringen aus, die sich durch ein außergewöhnliches Engagement oder durch besondere Zugänge und Formate in der Soziokultur hervorgehoben haben.

Die Jury würdigt mit dem Preis insbesondere die beeindruckende Vielfalt an Veranstaltungen, Angeboten und Projekten, die der KuKo regelmäßig organisiert. Allein 15 Arbeitsgemeinschaften, drei Vereine und fünf Projekte sind unter seinem Dach aktiv. Damit trägt er entscheidend zur kulturellen Entwicklung Ilmenaus und der Region bei.

Die Preisverleihung findet am Mittwoch, 11. Dezember 2024, 19 Uhr im Café Bohne in Ilmenau statt.

 

 

 

 

Die Neuauflage des Thüringer Soziokultur-Reiseführers „Pappe, Peng & Paradiese“ ist erschienen. Der Reiseführer unseres Landesverbandes in Thüringen stellt 77 der aufregendsten Kulturspielplätze im Freistaat vor und ist damit der perfekte Begleiter für den Kultursommer. Als Druckausgabe im handlichen Taschenformat jetzt bestellen – oder online auf Entdeckungstour gehen.

Viele Kultureinrichtungen können in diesen Tagen endlich wieder ihre Türen öffnen und Konzerte, Lesungen oder Theateraufführungen veranstalten – auch wenn das meiste wohl nur unter freiem Himmel stattfinden wird. Gerade das kann aber auch ein Anlass sein, in diesem Sommer neue Kulturorte zu entdecken. Denn wer die ausgetretenen Pfade verlässt, kann so manche positive Überraschung erleben!

Reiseführer der LAG Soziokultur Thüringen

Der Soziokultur-Reiseführer „Pappe, Peng & Paradiese“, der gerade in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage erschienen ist, kann hier der perfekte Begleiter sein. Er stellt 77 alternative Kultureinrichtungen in 31 Orten des Freistaats vor – vom Kunsthof Friedrichsrode ganz im Norden bis zur Stiftung Judenbach in Südthüringen, von der Kunstschule in Schweina im Wartburgkreis bis zum Paul-Gustavus-Haus in Altenburg. Dazwischen tummeln sich ehemalige Fabriken, Bahnhöfe und Industriegebäude, die inzwischen kulturell genutzt werden, alternative Festivals und Clubs, die eine überregionale Strahlkraft besitzen, aber auch kleineren Kultur-Locations, die für die Regionen wichtige Ankerpunkte sind.

77 Mal Alternativkultur in Thüringen heißt auch: 77 Mal Mitglied in der LAG Soziokultur Thüringen. Wir möchten mit dem Reiseführer auf die vielen noch “unentdeckten” Kultureinrichtungen und Projekte aufmerksam machen und dazu animieren, sie zu besuchen. Denn das Kulturland Thüringen besteht nicht nur aus dem kulturhistorischen Erbe – auch viele soziokulturelle Einrichtungen haben ein kulturtouristisches Potential.

Druckausgabe mit Thüringen-Faltkarte

Die Druckausgabe des Soziokultur-Reiseführers erscheint mit 196 Seiten im handlichen Taschenformat (11,4 x 16,5 cm). Mit der Neuauflage kommt die LAG einem vielfachen Wunsch nach, denn die erste Auflage 2019 war innerhalb weniger Wochen komplett vergriffen. In der Neuauflage wurden acht Kultureinrichtungen neu aufgenommen und alle Beiträge auf den aktuellen Stand gebracht.

Dem Reiseführer liegt erstmals eine A2-Faltkarte von Thüringen bei, die vom Erfurter Grafiker Stefan Kowalczyk (www.greatmade.de) gestaltet wurde. Sie erleichtert sowohl die Orientierung als auch das Aufstöbern des einen oder anderen Schatzes.

Die alternativen Kulturparadiese können auch online unter www.kulturschrittmacher.de angesteuert werden. Die Onlineausgabe enthält alle Informationen der Druckausgabe und wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert und erweitert.

Soziokultur-Reiseführer bestellen

Die Druckausgabe des Reiseführers kann bei der LAG Soziokultur Thüringen gegen eine Schutzgebühr von 5,00 Euro bestellt werden. Darüber hinaus ist er in begrenzter Stückzahl in den soziokulturellen Einrichtungen erhältlich, die im Reiseführer aufgeführt sind.

Finanzielle Förderung der Publikation durch die Thüringer Staatskanzlei.

In einem Streifzug durch die Republik zu exemplarischen Orten wird klar: Soziokulturelle Aktivitäten finden vielerorts in Gebäuden statt, die nicht als kulturelle Bauten geplant wurden. Wir haben uns umgesehen und stellen exemplarische Häuser vor.

THÜRINGEN: Kunstpavillon Eisenach

Der Verein Zentrum für Gegenwartskunst fördert zeitgenössische Kunst und Kultur, Bildung sowie Denkmalschutz und -pflege durch die Erhaltung des ehemaligen Ausstellungspavillons des Automobilwerkes Eisenach und dessen sinnvolle und regelmäßige Nutzung. Nach der Rettung vor dem Abriss und der Gebäudesicherung treibt der Verein derzeit eine denkmalgerechte Sanierung des inzwischen als Kulturdenkmal eingetragenen und seit 2018 als national bedeutend eingestuften Gebäudes voran. Sein Baustil wird in der Nachfolge der Bauhaus-Architektur mit Bezügen zu Bauten von Mies van der Rohe bewertet.

Seit 2007 werden regelmäßig Angebote der Kunst, der Soziokultur und der Bildung geschaffen, die bis dato in dieser Form in Eisenach nicht zu finden waren – von Kunstausstellungen und -auktionen und Nächten der Kunst über Workshops mit Schüler*innen, die offene „Bühne FREI“ und Poetry Slams bis zu Live-Konzerten, Lesungen und Film-, Theater- und Kabarettaufführungen. Als Zentrum der Begegnung und als Raum zur freien Meinungsbildung lädt der KUNSTPavillon zum Verweilen, Genießen und Feiern ein.

Text: Peter Schäfer

www.kunstpavillon.infoKunstpavillon auf Facebook

Der Artikel erschien in der Zeitschrift SOZIOkultur zur Thema HÄUSER. Hier die Ausgabe zum Download.