Bundeskongress des Fonds Soziokultur am 24. und 25. April in Berlin.
Es gab etwas zu feiern, einen „Pool an Reichtum“, der im Rahmen der Neustart-Förderprogramme des Fonds Soziokultur entstanden ist. Seit Beginn der Pandemie konnten rund 1.500 Zentren, Initiativen und soziokulturelle Projekte (und vor allem auch Prozesse) mit 34 Mio. € unterstützt werden. Was passiert jetzt und in Zukunft mit den angesammelten Ideen und Erfahrungen, wie verändern sie die Soziokultur? Darum ging es bei der zweitägigen Tagung in Berlin.
Blick zurück auf die Neustart-Förderprogramme
„Soziokultur ist da, wo es in der Gesellschaft brennt“, sagte Frau Dr. Hahne, die Vertreterin der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), die die Mittel bereitgestellt hatten und lobte die gute und effektive Zusammenarbeit mit dem Fonds Soziokultur. Schnell und passgenau seien die Mittel dort eingesetzt worden, wo sie wirklich gebraucht wurden. Innerhalb kürzester Zeit sei ein „Think-and-Do-Tank“ entstanden, der sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt gekümmert habe.
Mechthild Eickhoff, Geschäftsführerin des Fonds Soziokultur, beschrieb wie der Fonds die Förderprogramme selbst zum Teil eines Transformationsprozesses gemacht hat: „Auch für uns war das alles komplett neu.“ Ein internationaler Mentoring-Prozess wurde eingebaut, und in der zweiten Förderphase switchte der Fonds von der Projekt- zur Prozessförderung, um auf die geänderten Bedürfnisse der soziokulturellen Initiativen und Zentren einzugehen und der oft kritisierten Projektitis entgegenzuwirken.
Einige ausgewählte Vorhaben – z. B. aus dem Integrationshaus Köln – wurden auf der Tagung vorgestellt, die es Künstler*innen mit migrantischen Wurzeln aus unterschiedlichen Sparten ermöglichten, in etablierten Kultureinrichtungen ein selbstgewähltes Thema zu bearbeiten und damit zu irritieren. Das Projekt „Klimaparlament“ gab nichtmenschlichen Lebewesen und Dingen eine menschliche Stimme, eine Interessensvertretung mit Bezug zur Nachhaltigkeit: Der Feldhamster bestimmt jetzt mit über eine ökologische Entwicklung. (Hier den Beitrag über das Klimaparlament im Magazin SOZIOkultur zum Thema ENERGIE nachlesen.)
In einer Reihe von Workshops war es möglich noch tiefer in unterschiedliche Fragestellungen einzutauchen, die durch die Förderungen lokal bearbeitet wurden. Die Palette der Themen war breit: Kunst der sozialen Versammlung, Intersektionalität, kreative Kampagnenentwicklung, Utopien, Aneignung öffentlicher Räume oder auch: Wie bringt man eine bad practice bubble zum Platzen?
Positives Feedback aus der Evaluation
Das Institut für Kulturpolitik in Bonn und Educult aus Wien evaluierten die Neustart-Förderprogramme des Fonds Soziokultur, mit dem Ergebnis durchgehend hoher Akzeptanz und guter Bewertungen. Herausgehoben wurden die hohe Qualität des Vergabeprozesses über verschiedene Fachjurys, aber auch die gelungene Flexibilität. Eine besondere Rolle kam dem Begleitprogramm Re:Vision X zu, das über die Bereitstellung von Geldern erheblich zur „Horizonterweiterung“ und „Impulsgebung“ beigetragen habe. Aus der Evaluation wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet, sowohl für den Fonds als auch für die Kulturverwaltung und die Politik.
Lücke zwischen Anerkennung und Ausstattung
In der nachfolgenden Podiumsdiskussion „Politik & Praxis: Welche Förderung brauchen wir?“ wurde es dann spannend, als Moderator Peter Grabowski auf den deutlichen Unterschied zwischen allgemeiner und fachlicher Anerkennung sowie materieller Ausstattung für die Soziokultur hinwies. „Die gesellschaftliche Bedeutung von Soziokultur bildet sich nicht monetär ab“, auch nicht unter einer Ampel-Regierung, meinte der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Helge Lindh durchaus selbstkritisch. „Politik hat leider nicht so sehr den Blick für das Spektakuläre des Alltags.“
Für den Bundesverband Soziokultur verwies Ellen Ahbe noch einmal auf die prekären Arbeitssituationen in den allermeisten soziokulturellen Zentren, unabhängig von der Corona-Krise. In der Krise sei gut und mit viel Ressourcen geholfen worden, jetzt gehe es darum, wie eine strukturelle Förderung weiterentwickelt werden könne, um sich langfristig mit den gesellschaftlichen Herausforderungen von Fragen der Teilhabe über Demokratie bis hin zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele kulturell auseinanderzusetzen. Eine Diskussionsteilnehmerin forderte: „Soziokultur erreicht Menschen, da sind andere Kultureinrichtungen weit von entfernt. Wir müssen uns in der Kulturpolitik mehr an einem public value orientieren.“
Und woher sollen die Mittel für eine verstärkte Förderung der Soziokultur kommen, die ja alle für sinnvoll halten? „Wo soll das Geld weggenommen werden?“, fragte die Kongressmoderatorin Vivian Perkovic während einer Veranstaltung explizit. Die Antworten waren eindeutig und reichten von Übergewinnsteuer über klimaschädliche Subventionen bis hin zum Rüstungsetat.
Internationales Monitoring-Programm als Novum
Am zweiten Tag beschäftigte sich die Tagung vor allem mit dem international angelegten Mentoring-Programm Re:Vision X, einem Novum in der Geschichte des Fonds Soziokultur. Neben den internationalen Mentor*innen kamen auch die Gäste aus Groß-Britannien vom Programm „Cultural Bridge“ ausführlich zu Wort und steuerten ihre Erfahrungen bei.
Spannender Tagungsort
Interessant war auch das Tagungsgebäude selbst: Eine umgebaute Generatorenhalle in der Mitte von Kreuzberg, nicht weit vom legendären SO36 entfernt. Ursprünglich wollte hier Google einziehen und seinen Berlin-Campus aufbauen, was aber die Anwohner*innen aus Sorge vor noch mehr Gentrifizierungsdruck durch Proteste verhinderten. Heute residiert hier das „bUm“, ein gemein-wohlorientierter Co-Working-Space, „ein Ort zum Arbeiten, Veranstalten, Lernen und zum gemeinsamen Weltverbessern“, heißt es auf der bUm-Website. „Hier begegnen sich soziale Gründer*innen und Menschen ohne Wohnung, Politik und Nachbarschaft, gemeinwohlorientierte Unternehmen und ehrenamtlich Engagierte, gemeinnützige Organisationen und Aktivist*innen.Wir fördern den Austausch und die Vernetzung unterschiedlichster Menschen und Perspektiven, damit mutige Kollaborationen entstehen, die alle stärker machen!“ Sounds like Soziokultur.
Weitere Infos unter: https://profil-soziokultur.de/kongress-2023