Zum Fachtag Soziokultur in Mecklenburg Vorpommern „Kulturelle Grundversorgung und Vielfalt erhalten“ hielt Ellen Ahbe einen Impuls zum Thema „Demokratie stärken”. Der Bundesverband Soziokultur brachte sich darüber hinaus in zwei Workshops zu den Themen Demokratiestärkung und Nachhaltigkeit auf dem Fachtag ein.
Impuls vom 1. Dezember 2023
Guten Tag an alle, die sich hier heute zusammengefunden haben, um die Soziokultur in Mecklenburg-Vorpommern zu vier thematischen Säulen zu stärken! Vielen Dank an Dich, liebe Ulrike Hanf, und den Vorstand des Landesverbandes für diesen Fachtag und für die Möglichkeit des Bundesverbandes, sich in zwei Workshops zu den Themen Demokratie und Nachhaltigkeit einzubringen!
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um die Sicht des Bundesverbandes auf bedrängende Entwicklungen in unserer Gesellschaft und die mögliche Rolle der Soziokultur mit Ihnen und euch zu teilen.
Alarmierend: Demokratie auf dem Prüfstein
Wir werden zunehmend mit dem Ausmaß an globalen Konflikten konfrontiert. Wir alle spüren die polarisierenden Auswirkungen, nicht nur am Rande der Gesellschaft, sondern auch in ihrer Mitte, derzeit besonders deutlich durch einen alarmierenden Anstieg des Antisemitismus. Die Normalisierung nationalistischer Ideologien im ganzen Land ist besorgniserregend. Ebenso erschreckend ist die Tendenz, nicht demokratische Parteien in Landtage einziehen zu lassen.
Auf der anderen Seite fühlen sich viele Menschen von Politik nicht angesprochen und stehen der Demokratie indifferent bis ambivalent gegenüber. Das Gefühl in politischen Diskursen und Prozessen nicht ausreichend repräsentiert zu sein, kann zu einem Legitimitätsverlust der Demokratie führen, Spaltungstendenzen und populistische Erklärmuster verstärken.
Die Existenz der Demokratie und das Leben von demokratischen Grundsätzen im Kleinen wie im Großen hängen von unserer Fähigkeit ab, Konflikte gemeinsam zu bewältigen. Dabei ist entscheidend, wie gut wir es schaffen, öffentliche Debatten zu führen, die alle mit einbezieht, in der sich nicht viele kleine Gruppen in ihre Bubble und ihre völlig abgetrennten Weltsichten hineinsteigern, abspalten und anfällig werden für demokratiegefährdende Meinungsführer*innen. Oder sich ihnen sogar anschließen.
Zusammenhalt fördern – durch Soziokultur
Rufen wir uns ins Gedächtnis, welcher Verlust an Kommunikationskanälen und Räumen für gesellschaftlichen Dialog in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Aus Gewerkschaften, Parteien und Kirchen stiegen kontinuierlich die Mitglieder aus, teilweise aus gutem Grund. Diese Entwicklung ist nicht per se negativ. Doch was kann diesen Verlust an gemeinschaftlicher Verortung ersetzen? Konkret: Wie kann die Soziokultur hier in der Breite wirken, um dieser Entwicklung dauerhaft etwas entgegenzusetzen?
Wie kann sie noch stärker denn je Räume für Begegnung für möglichst viele verschiedene Bevölkerungsgruppen schaffen, um auf ihre Weise, mit kreativen spannenden Angeboten den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu befördern und somit die Demokratie zu stärken?
Soziokultur stärkt Partizipation und Mitgestaltung
Die Soziokultur bietet mit ihrem Bekenntnis zu Partizipation und Gerechtigkeit eine Plattform für den Dialog in schwierigen Nachbarschaften. Sie spricht marginalisierte Gruppen ebenso an wie „ganz normale Leute“, die das Gefühl haben, kein Gehör mehr zu bekommen. Die Möglichkeit zur Mitgestaltung an den Prozessen wiederzuerlangen, die viele Einzelne mittlerweile abgeben an die, die einfache Lösungen parat halten … diese Selbstwirksamkeit in soziokulturellen Veranstaltungen und Projekten zu erlernen und zu erfahren, führt zu Schlüsselkompetenzen, auch für die demokratische Praxis in weiteren Lebensbereichen.
Gemeinschaftliche Verortung beginnt an einem gemeinsamen Ort
Soziokulturelle Zentren sind Orte der Selbstermächtigung und des ständigen Dialogs. Als dritte Orte sind sie offen zugänglich für alle und laden ein zu Begegnung und Kommunikation. Also bilden sie die Basis für ein respektvolles und friedliches Miteinander.
Um diese Stärke der Soziokultur auf Bundesebene modellhaft einmal mehr aufzuzeigen und das Fachfeld weiterzuentwickeln, wird der Bundesverband Soziokultur in Kooperation mit der Robert Bosch Stiftung bis 2025 ein Programm mit dem Titel „Allzeitorte“ durchführen.
Förderprogramm „Allzeitorte“
Unser Programm „Allzeitorte. Gemeinsam mehr bewegen“ will Menschen dort erreichen, wo sie sich aufhalten: an Alltags- und Freizeitorten. Durch innovative Beteiligungsformate, die im Kleinen etwas bewegen, sollen sich Menschen als gestaltende Kraft ihrer Alltagsräume und damit potenziell auch weiterer demokratischer Prozesse erleben. Damit sollen sie im Idealfall längerfristige Anlaufstellen für ihre weiteren Anliegen finden. Die Ausschreibung wird auf unserer Webseite, über unseren Newsletter sowie weitere Kanäle die Akteure der Soziokultur erreichen.
Soziokultur ist kulturelle Grundversorgung
Darüber hinaus möchte ich ein paar Zahlen aus unserer Statistik bemühen, um unter Beweis zu stellen, dass die Soziokultur auch unter weiteren Aspekten eine demokratisch organisierte kulturelle Praxis ist.
- Alle Generationen werden gleichermaßen angesprochen. Ein Viertel, also 25 Prozent aller soziokulturellen Zentren sieht den generationenübergreifenden Dialog als Schwerpunkt ihrer Arbeit an.
- Menschen mit Beeinträchtigung sind für 24 Prozent der Zentren eine Zielgruppe.
- Zur Gleichstellung der Geschlechter arbeiten 26 Prozent schwerpunktmäßig und
- für 10 Prozent der Einrichtungen sind die queeren Communities im Fokus ihrer Arbeit.
- 25 Prozent der Nutzer*innen von soziokulturellen Angeboten sind Menschen mit Migrationshintergrund und
- bei den Festangestellten, auch mit Leitungsfunktion, haben 11 Prozent Migrationshintergrund. Im Vergleich dazu: In deutschen Bildungseinrichtungen arbeiten lediglich 2 Prozent.
Allein daran ist ersichtlich, dass soziokulturelle Zentren das Potenzial und somit die Berechtigung haben, ein ganz selbstverständlicher Bestandteil der kulturellen Infrastruktur von Städten und Gemeinden zu sein. Denn sie erfüllen Aufgaben der kulturellen Grundversorgung.
Etwa 16 Millionen begrüßt die Soziokultur bundesweit in einem Kalenderjahr. Ebenso viele Menschen besuchen die 1. Bundesliga im Fußball.
Der Erfolg und somit die Relevanz der soziokulturellen Zentren zeigt sich auch an der wachsenden Zahl der Besucher*innen. Etwa 16 Millionen begrüßt die Soziokultur bundesweit in einem Kalenderjahr. Ebenso viele Menschen besuchen die 1. Bundesliga im Fußball. Das ist beachtlich!
Die Zentren sind lebendige Orte der Gemeinschaft, die gerade in strukturschwachen, in ländlichen Räumen – aber auch in sozial schwierigen urbanen Quartieren durch Kunst und Kultur die Freiräume schaffen, die sonst bitter fehlen würden. Soziokulturelle Zentren sind also nachweisbar Orte für Integration, Inklusion und Teilhabe.
Sie leisten durch spannende Veranstaltungsprogramme einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen, vor allem in ländlichen Räumen. Zugleich ist die Soziokultur auf dem Weg, die sozial-ökologische Transformation zu stemmen und über allen Maßen bestrebt, mit der rasant fortschreitenden Digitalisierung der Gesellschaft technisch wie auch diskursiv Schritt zu halten.
Demokratiestärkung der Soziokultur muss finanziert werden
Diesen langfristigen Herausforderungen stellt sich die Soziokultur eigenmotiviert und mit großem Engagement, bundesweit sind es ca. 16.000 Ehrenamtliche. Im rechnerischen Durchschnitt kommen auf eine festangestellte Person 10 Ehrenamtliche. Das ist enorm!
Eines muss jedoch klar sein: Diese aktive Stärkung der Demokratie ist mit Kosten verbunden. Die Arbeit der soziokulturellen Einrichtungen ist kein Selbstverständnis. Über die verbale Wertschätzung hinaus ist eine dauerhafte, verlässliche und nachhaltige Finanzierung der soziokulturellen Strukturen, gerade in der aktuellen wirtschaftlich schwierigen Situation nach den Jahren der kräftezehrenden Pandemie völlig unabdingbar.
Deshalb sind Fragen zur Demokratiestärkung immer auch Fragen zu einer nachhaltigen Finanzierung der soziokulturellen Zentren und Initiativen: Es braucht verlässliche Rahmenbedingungen und ausreichend Förderung! Nur dann kann die Soziokultur weiterhin zunehmend wichtige Beiträge zum demokratischen Gefüge unserer Gesellschaft leisten.
Die Soziokultur stellt sich allen genannten Herausforderungen mit Fantasie und Kreativität. In diesem Sinne bleiben wir dem Brandt’schen Geist treu: „Mehr Demokratie wagen“.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!