Der Kulturbereich wurde tief von der Corona-Pandemie getroffen. Er leidet unter extremen Einschränkungen durch die Schutzmaßnahmen. Viele Kultureinrichtungen waren und sind vollständig oder teilweise geschlossen. Besonders die freiberuflich arbeitenden Künstlerinnen und Künstler sind in Existenznot geraten. Doch wie hat sich die Lage in den verschiedenen Kulturbereichen seit Beginn der Pandemie entwickelt? Welche kurz- und mittelfristigen Auswirkungen gibt es? Welche Hilfsmaßnahmen wurden bereits umgesetzt, um den Kultursektor zu unterstützen? Welche politischen und gesellschaftlichen Forderungen bestehen?
Corona-Chroniken
Die Publikation “Die Corona-Chroniken Teil 1 – Corona vs. Kultur in Deutschland” des Deutschen Kulturrates fasst in acht Kapiteln Statements und Einschätzungen von über 120 Autorinnen und Autoren aus Kultur, Medien und Politik zusammen. Gemeinsam ist ihnen allen der Blick auf die letzten anderthalb Jahre Corona vs. Kultur. Ein wichtiges Stück Zeitgeschehen ist in den Chroniken festgehalten. Und ein Ausblick gegeben: Teil 2 soll im Laufe des Jahres folgen.
Der Bundesverband Soziokultur ist in den Corona-Chroniken vertreten durch den Beitrag “Soziokultur arbeitsfähig halten!” der Geschäftsführerin Ellen Ahbe. Der Beitrag ist im April 2020 erschienen in der Zeitung des Deutschen Kulturrates Politik & Kultur 04/2020.
Soziokultur arbeitsfähig halten!
Die Bundesregierung und auch Landesregierungen reagieren mit einer Vielzahl von Hilfsprogrammen auf die Corona-Krise.
Wie den Unternehmen des Handels, der Gastronomie und des Tourismus zieht das Veranstaltungs- und Kontaktverbot auch der Soziokultur den Boden unter den Füßen weg. Dies unter der prekären Bedingung, dass die Akteure der Soziokultur sich bereits seit Jahrzehnten selbst ausbeuten. Nicht profit- sondern ideell und gemeinnützig orientiert, sind sie zudem gesetzlich an der Bildung von Rücklagen gehindert und sie müssen einen Großteil ihrer selbst erwirtschafteten Eigenmittel für Grundkosten aufbringen. Sie sind also besonders hart betroffen.
Soziokultur wird jetzt dringender den je gebraucht
Die Leistungen der soziokulturellen Zentren als Role Models und Energiequellen einer offenen, demokratischen Gesellschaft sind unverzichtbar. Ob in den Problemquartieren der Großstädte oder in strukturschwachen ländlichen Gebieten: Nach der Krise werden sie von den Menschen, die deren Folgen bewältigen und wieder Fuß fassen wollen, als Orte der Kultur und Kommunikation dringender denn je gebraucht.
Bislang erhalten sie aber aus keinem der Hilfsprogramme und keiner der sonstigen Maßnahmen ausreichend Hilfe in ihrer Not. Diese muss jetzt sehr schnell und unbürokratisch erfolgen.
Sowohl unsere Datenerhebung aus 2019 als auch eine aktuelle Umfrage, an der sich fast alle unserer 566 Mitgliedseinrichtungen beteiligten, zeigen: Die Lage ist äußerst ernst. Mehr als ein Drittel der Zentren sieht seine Existenz unmittelbar bedroht. Erste Einrichtungen haben bereits ihre Schließung angekündigt.
Ergebnisse der COVID-19 Blitzumfrage und der Statistik 2019
Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf den Zeitraum von einem Monat ab dem 15. März 2020. Sie zeigen, dass der landesweite Shutdown fundamental die kaum vorhandenen Reserven der soziokulturellen Zentren und Initiativen angreift. Als unmittelbare Auswirkung von Covid-19 sind mindestens 8000, wahrscheinlicher aber nahe 13.500 Veranstaltungen von Absagen betroffen.
Unter anderem je nach Dauer der Kontaktsperre lassen sich voraussichtlich nur zwischen 2300 und 4800 Veranstaltungen und kontinuierliche Angebote wie Kurse und Workshops verschieben. Dabei haben größere Zentren auch die größeren Chancen, Veranstaltungen später nachzuholen. Die durch die kleineren Zentren geleistete Nachbarschaftsarbeit entfällt hingegen meist ersatzlos.
Mehr als zwei Drittel der befragten soziokulturellen Zentren verfügen für den Fall von Betriebsschließungen auf behördliche Anordnung über keine Versicherung. Sie müssen den finanziellen Verlust selbst tragen. Je Einrichtung wird er sich auf durchschnittlich 20.500 Euro, insgesamt auf mehr als 8 Millionen Euro belaufen.
Die Verluste entstehen hauptsächlich aus fehlenden Eintrittsgeldern und Kursgebühren, aber auch aus entfallenden Mieteinnahmen.
Beinahe zwei von drei Zentren bangen zudem um ihre Projektförderungen. Es handelt sich hier um ein Gesamtvolumen von fast 19 Millionen Euro.
Wir plädieren für die Einrichtung des Nothilfefonds »GAP« für die Soziokultur
Der Gesamtbetrag der Betriebs-, Gemein- und Personalkosten beläuft sich laut „Statistik 2019“ auf jährlich 150 Millionen Euro. Das sind fast drei Viertel der Gesamtausgaben. Nur ca. 70 Millionen Euro davon sind über institutionelle Förderung gedeckt.
Das heißt: 80 Millionen Euro müssen über Eigenmittel bzw. Projektmittel gestemmt werden. Für jeden Monat bedeutet das Kosten in Höhe von ca. 6,7 Millionen Euro. Wegen der finanziellen Einbußen fehlt also vor allem für Betriebs-, Gemein- und Personalkosten die Deckung. Der Mittelwert der Unterdeckung liegt bei knapp 13.000 Euro pro Einrichtung, die Gesamtsumme voraussichtlich bei nahezu knapp 5 Millionen.
Das führt zu Rupturen in der Beschäftigungssituation. In soziokulturellen Zentren sind nur 10 Prozent der Akteure versicherungspflichtig angestellt, davon wiederum nur ein Viertel mit Vollzeitstellen und die anderen mit Teilzeitstellen in Mini- und Midijobs oder im Ausbildungsverhältnis. Das Kurzarbeitergeld greift hier entweder gar nicht oder nicht existenzsichernd, denn 75 Prozent der Stellen werden mangels ausreichender finanzieller Mittel nicht tariflich vergütet.
In der jetzt akuten Situation behelfen sich Zentren mit weiteren Stundenkürzungen und mit der Anordnung von Urlaub. 33 Einrichtungen müssen bereits zum jetzigen Stand Entlassungen vornehmen. Nur 27 Einrichtungen können das Modell der Kurzarbeit nutzen. Aufgrund der gegebenen prekären Ausgangslage müssen die betroffenen Mitarbeiterinnen zusätzlich Transferleistungen beantragen.
Sofortmaßnahmen werden benötigt
Um die für die Soziokultur mit Sicherheit ernst bleibende Lage wenigstens abzumildern plädieren wir vor allem für folgende Sofortmaßnahmen: Bereits bewilligte bzw. in Aussicht gestellte Projektförderungen werden – bei entsprechenden Modifizierungen der Förderbedingungen und Kompensationsmaßnahmen durch die Antragsteller*innen – in voller Höhe ausgezahlt. Zur Aufrechterhaltung der Strukturen wird ein Nothilfefonds „GAP“ eingerichtet, mit dem subsidiär zu allen anderen Hilfsprogrammen der Länder und Kommunen die Bedarfe für Grundkosten, aktivitätsbezogene Kosten und Personalkosten abgefangen werden können.
Werden diese beiden Empfehlungen nicht aufgegriffen, bedeutet das einen soziokulturellen Kahlschlag.
***
Die Corona-Chroniken – Corona vs. Kultur in Deutschland
Aus Politik & Kultur 18
Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo Geißler
978-3-947308-32-3, 483 Seiten, 20,80 Euro
Aktuell versendet der Bundesanzeiger Verlag Gebührenbescheide an Vereine für die Auflistung im bundesweiten Transparenzregister. Mit dem Hinweis auf das Geldwäschegesetz wird von allen Vereinen die Entrichtung einer Gebühr rückwirkend für die letzten vier Jahre gefordert.
Eine Gebührenbefreiung ist für gemeinnützige Organisationen zwar möglich, aber äußerst aufwändig. Zudem kann die Befreiung nicht rückwirkend beantragt werden und jede Aktualisierung muss aktiv an das Transparenzregister gemeldet werden. Gerade für Vereine, deren Jahreseinnahmen weniger als 10.000 € ausmachen und die über keine hauptamtlich besetzte Geschäftsstelle verfügen – das sind immerhin die Hälfte aller Vereine in Deutschland! – bedeutet es einen Mehraufwand verbunden mit einer Mehrbelastung. Einer unnötigen, wie wir finden.
Der Gesetzesentwurf zum Transparenz-Finanzinformationsgesetz Geldwäsche (Drs. 19/28164) wird am Mittwoch, 14. April 20121, in erster Lesung im Bundestag behandelt und an die Ausschüsse verwiesen.
Der Bundesverband Soziokultur e. V. hat deshalb einen offenen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz mitunterzeichnet, der fordert, die derzeit laufenden Gebührenbescheide zu stoppen und den aktuellen Gesetzentwurf zum Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz anzupassen.
Die Forderungen in dem offenen Brief:
- Den aktuellen Versand von Gebührenbescheiden zu stoppen und bereits gezahlte Gebühren zu erstatten.
- Keine neuen eigenständigen Meldepflichten für gemeinnützige Vereine einzuführen. (Die im Entwurf des Transparenz-Finanzinformationsgesetz Geldwäsche (TraFinGw) geplanten zusätzlichen Meldepflichten erhöhen die bürokratische Mehrbelastung und gehen, da auf wirtschaftliche Aktivitäten abzielend, an der Realität gemeinnütziger Vereine vorbei. Denn die Vereine sind mit ihren rechtlichen Vertreter*innen im Vereinsregister bereits eingetragen und die Einnahmen und Ausgaben werden mindestens alle drei Jahre vom Finanzamt geprüft.)
- Die automatische Gebührenbefreiung für Vereine, deren Gemeinnützigkeit vom Finanzamt anerkannt wurde, ohne gesonderten Antrag umzusetzen. Auch die Bundesländer setzen sich im Bundesrat für die Gebührenbefreiung von gemeinnützigen Vereinen ein (Drs. 133/21).
- Auch laufende Gesetzgebungsverfahren, wie z. B. das TraFinGw, auf ihre Bürokratiebelastung für das bürgerschaftliche Engagement zu überprüfen und anzupassen.
- Darüber hinaus soll zukünftig im Sinne einer Engagementverträglickeitsprüfung die Bürokratiebelastung für rein ehrenamtlich getragene Strukturen systematisch abgebaut und in laufenden Gesetzgebungsverfahren geprüft werden.
Wir danken den Initiator*innen – Bündnis für Gemeinnützigkeit, Deutscher Olympischer Sportbund, Deutscher Kulturrat, Dachverband der Kulturfördervereine, Zivilgesellschaft in Zahlen, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement, Deutscher Bundesjugendring, Deutscher Naturschutzring sowie den Mitunterzeichnenden.
Hier zum Nachlesen: Den offenen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz.
Hier zum Nachlesen: Gesetzentwurf zur europäischen Vernetzung der Transparenzregister und zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1153 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Nutzung von Finanzinformationen für die Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen schweren Straftaten (Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz).
Die Programme von Bund und Ländern bieten bisher keine ausreichenden Hilfen für soziokulturelle Zentren. Wie den Unternehmen des Handels, der Gastronomie und des Tourismus zieht das Veranstaltungs- und Kontaktverbot auch der Soziokultur den Boden unter den Füßen weg. Dies unter der prekären Bedingung, dass die Akteure der Soziokultur sich bereits seit Jahrzehnten selbst ausbeuten.
Nicht profit-, sondern ideell und gemeinnützig orientiert, sind sie zudem gesetzlich an der Bildung von Rücklagen gehindert und sie müssen einen Großteil ihrer selbst erwirtschafteten Eigenmittel für Grundkosten aufbringen. Sie sind also besonders hart betroffen.
Soziokultur wird jetzt dringender den je gebraucht
Die Leistungen der soziokulturellen Zentren als »Role Models« und Energiequellen einer offenen, demokratischen Gesellschaft sind unverzichtbar. Ob in den Problemquartieren der Großstädte oder in strukturschwachen ländlichen Gebieten: Nach der Krise werden sie von den Menschen, die deren Folgen bewältigen und wieder Fuß fassen wollen, als Orte der Kultur und Kommunikation dringender denn je gebraucht. Bislang erhalten sie aber aus keinem der Hilfsprogramme und keiner der sonstigen Maßnahmen ausreichend Hilfe in ihrer Not. Diese muss jetzt sehr schnell und unbürokratisch erfolgen. Sowohl unsere Datenerhebung aus 2019 als auch eine aktuelle Umfrage, an der sich fast alle unserer 566 Mitgliedseinrichtungen beteiligten, zeigen: Die Lage ist äußerst ernst. Mehr als ein Drittel der Zentren sieht seine Existenz unmittelbar bedroht. Erste Einrichtungen haben bereits ihre Schließung angekündigt.
Ergebnisse der COVID-19 Blitzumfrage und der Statistik 2019
Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf den Zeitraum von einem Monat ab dem 15. März 2020. Sie zeigen, dass der landesweite Shutdown fundamental die kaum vorhandenen Reserven der soziokulturellen Zentren und Initiativen angreift. Als unmittelbare Auswirkung von Covid-19 sind mindestens 8.000, wahrscheinlicher aber nahe 13.500 Veranstaltungen von Absagen betroffen. Unter anderem je nach Dauer der Kontaktsperre lassen sich voraussichtlich nur zwischen 2.300 und 4.800 Veranstaltungen und kontinuierliche Angebote wie Kurse und Workshops verschieben. Dabei haben größere Zentren auch die größeren Chancen, Veranstaltungen später nachzuholen. Die durch die kleineren Zentren geleistete Nachbarschaftsarbeit entfällt hingegen meist ersatzlos. Mehr als zwei Drittel der befragten soziokulturellen Zentren verfügen für den Fall von Betriebsschließungen auf behördliche Anordnung über keine Versicherung. Sie müssen den finanziellen Verlust selbst tragen. Je Einrichtung wird er sich auf durchschnittlich 20.500 Euro, insgesamt auf mehr als 8 Millionen Euro belaufen. Die Verluste entstehen hauptsächlich aus fehlenden Eintrittsgeldern und Kursgebühren, aber auch aus entfallenden Mieteinnahmen. Beinahe zwei von drei Zentren bangen zudem um ihre Projektförderungen. Es handelt sich hier um ein Gesamtvolumen von fast 19 Millionen Euro.
Wir plädieren für die Einrichtung des Nothilfefonds »GAP« für die Soziokultur
Der Gesamtbetrag der Betriebs-, Gemein- und Personalkosten beläuft sich laut »Statistik 2019« auf jährlich 150 Millionen Euro. Das sind fast drei Viertel der Gesamtausgaben. Nur ca. 70 Millionen Euro davon sind über institutionelle Förderung gedeckt. Das heißt: 80 Millionen Euro müssen über Eigenmittel bzw. Projektmit-tel gestemmt werden. Für jeden Monat bedeutet das Kosten in Höhe von ca. 6,7 Millionen Euro. Wegen der finanziellen Einbußen fehlt also vor allem für Betriebs-, Gemein- und Personalkosten die Deckung. Der Mittelwert der Unterdeckung liegt bei knapp 13.000 Euro pro Einrichtung, die Gesamtsumme voraussichtlich bei nahezu knapp 5 Millionen.Das führt zu Rupturen in der Beschäftigungssituation. In soziokulturellen Zentren sind nur 10 Prozent der Akteure versicherungspflichtig angestellt, davon wiederum nur ein Viertel mit Voll-zeitstellen und die anderen mit Teil-zeitstellen in Mini- und Midijobs oder im Ausbildungsverhältnis. Das Kurzarbeitergeld greift hier entweder gar nicht oder nicht existenzsichernd, denn 75 Prozent der Stellen werden mangels ausreichender finanzieller Mittel nicht tariflich vergütet. In der jetzt akuten Situation behelfen sich Zentren mit weiteren Stundenkürzungen und mit der Anordnung von Urlaub. 33 Einrichtungen müssen bereits zum jetzigen Stand Entlassungen vornehmen. Nur 27 Einrichtungen können das Modell der Kurzarbeit nutzen. Aufgrund der gegebenen prekären Ausgangslage müssen die betroffenen Mitarbeiterinnen zusätzlich Transferleistungen beantragen.
Sofortmaßnahmen werden benötigt
Um die für die Soziokultur mit Sicherheit ernst bleibende Lage wenigstens abzumildern, plädieren wir vor allem für folgende Sofortmaßnahmen: Bereits bewilligte bzw. in Aussicht gestellte Projektförderungen werden – bei entsprechenden Modifizierungen der Förderbedingungen und Kompensations-maßnahmen durch die Antragsteller – in voller Höhe ausgezahlt. Zur Aufrechterhaltung der Strukturen wird der Nothilfefonds »GAP« eingerichtet, mit dem subsidiär zu allen anderen Hilfsprogrammen der Länder und Kommunen die Bedarfe für Grundkosten, aktivitätsbezogene Kosten und Personalkosten abgefangen werden können. Werden diese beiden Empfehlungen nicht aufgegriffen, bedeutet das einen soziokulturellen Kahlschlag.
Dieser Beitrag ist in Zeitung des Deutschen Kulturrates Politik & Kultur 04/2020 erschienen.