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15.06.2020

Gemeinnützigkeitsrecht

Meinung: Haltung bleibt gemeinnützig

Von: Yvonne Kratz

Das Demokratische Zentrum – Verein für politische und kulturelle Bildung e.V. (DemoZ) ist ein soziokulturelles Zentrum in Ludwigsburg, das rein ehrenamtlich betrieben wird und neben der Förderung von Kunst und Kultur auch politische Bildung gestaltet. Im Oktober 2019 wurde uns durch das Finanzamt Ludwigsburg die Gemeinnützigkeit entzogen.

Der Vorwurf des Finanzamtes
Das Finanzamt wirft uns vor, politische Bildung nicht in geistiger Offenheit zu verfolgen, weil wir zum Beispiel Interesse an antifaschistischer Politik äußern oder Vorträge zu Kapitalismuskritik veranstalten. Der zweite Vorwurf – das muss man sich erst mal vorstellen – war, dass wir in den Augen des Finanzamtes Ludwigsburg die Allgemeinheit nicht fördern, weil wir extrem Rechte durch eine Ausschlussklausel von Veranstaltungen ausschließen. Hierzu erklärte die Oberfinanzdirektion in Karlsruhe im Dezember 2019, dass eine Ausschlussklausel dieser Art nicht zum Verlust der Gemeinnützigkeit führen kann.

Auswirkungen 
Seitdem der Konflikt um die Gemeinnützigkeit Anfang 2019 begonnen hat, ist bei uns einiges los. Unser Alltag wird bestimmt durch intensive Pressearbeit zur Gemeinnützigkeit und durch das Ringen um jede mögliche Unterstützung: Zeit, die wir sowieso nur begrenzt haben und die für unsere Kulturarbeit verloren geht.

 

Die von gemeinnützigen Organisationen geforderte Überparteilichkeit ist nicht mit Werteneutralität zu verwechseln.

 

Trotzdem bringen wir jede erdenkliche Energie auf, um den Rechtsstreit zu gewinnen und um ein Bewusstsein in der Bevölkerung für das zu schaffen, was gerade im Kontext des Gemeinnützigkeitsrechts passiert, denn: Das Finanzamt irrt sich grundlegend!

Es ist wichtig Haltung zu zeigen
Als soziokulturelles Zentrum haben wir den Auftrag, gesellschaftspolitische Themen voranzubringen – dem kann man nicht ohne eine eigene Haltung begegnen. Die von gemeinnützigen Organisationen geforderte Überparteilichkeit ist nicht mit Werteneutralität zu verwechseln. Wir sind parteienunabhängig und positionieren uns trotzdem oder gerade deshalb politisch. Besonders in der heutigen Zeit – der antisemitisch motivierte Terroranschlag in Halle und der rassistische Anschlag in Hanau sind nur wenige Wochen her – ist es wichtig, Haltung zu zeigen. Auch aus dem Auftrag heraus, dass Auschwitz nie wieder passiert.

 

Alle Akteure der Zivilgesellschaft müssen tatsächlich die Freiheit haben, sich politisch äußern zu können.

 

Wir wollen Rassismus, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit, Homophobie und anderen Formen von Menschenfeindlichkeit sowie den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen des völkischen Nationalismus die Stirn bieten, nicht zuletzt indem wir durch politische Bildungsangebote Menschen zur Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs ermutigen und befähigen. Um (auch kontroverse) Debatten in unserer Gesellschaft weiter führen zu können, bedarf es nicht nur der Rechtssicherheit, sondern alle Akteure der Zivilgesellschaft müssen tatsächlich die Freiheit haben, sich politisch äußern zu können. Solange Äußerungen auf Grundlage der Menschenrechte erfolgen, sind diese schützenswert, insbesondere vor eventuellen Negativfolgen wie zum Beispiel dem Verlust der Gemeinnützigkeit. Zudem geben soziale Räume innerhalb der Zivilgesellschaft vielen Menschen erst die Möglichkeit zur politischen Beteiligung außerhalb der Parteien.

40 Jahre DemoZ
In diesem Jahr hat das DemoZ 40-jähriges Jubiläum, welches wir ausgiebig feiern, denn: Räume wie das DemoZ stehen nicht nur für Kunst und Kultur, sondern auch für den Wunsch nach Selbstbestimmung und Freiheit. Wir stehen für Humor und Freundschaft sowie für den gemeinsamen Widerstand gegen faschistische und menschenverachtende Bestrebungen. Daran kann auch der Verlust der Gemeinnützigkeit nichts ändern. In diesem Sinne: Haltung bleibt gemeinnützig.

Autor*innen

  Yvonne Kratz Organisationsplenum DemoZ e.V. in Ludwigsburg

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